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De:Lexikon:bio-0191

Otto-Bartning-Archiv, TU Darmstadt.

Otto Bartning

Architekt, Kirchenbaumeister, * 12. April 1883 Karlsruhe, † 20. Februar 1959 Darmstadt, ev., ∞ 1909 Clary Fuchs, 3 Kinder.

Otto Bartnings Vater war ein vermögender Hamburger Überseekaufmann, der in Karlsruhe die Tochter Jenny des Theologen Karl Wilhelm Doll geheiratet hatte. Doll war 1877-1895 Prälat der Landeskirche Baden und bis zu seinem Tod 1905 Hofdekan des Hauses Baden. Bartnings Kindheit und Jugend war geprägt von dem regen kulturellen Leben im Elternhaus in der Kriegsstraße 51. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums in Karlsruhe studierte er ab 1902 Architektur in Berlin, unternahm 1904 eine achtmonatige Weltreise und verbrachte das Wintersemester 1905/06 an der Technischen Hochschule (TH) Karlsruhe, wo er mit Max Laeuger, Hermann Billing, Friedrich Ostendorf und Karl Moser Kontakte pflegte. Zu dieser Zeit plante und baute Bartning bereits seine erste Kirche in Peggau/Steiermark in der evangelischen Diaspora. Danach beendete er das Studium ohne Abschluss und gründete in Berlin ein Architekturbüro. Dem Bau der Friedenskirche in Peggau mit der viel gelobten baulichen Einheit von Gotteshaus, Gemeindesaal und Pfarrhaus folgten bis 1914 weitere 17 Aufträge für protestantische Kirchenbauten vorwiegend in der Diaspora im Donauraum. Zudem plante und baute Bartning Landhausvillen in Berlin und Österreich.

Im Ersten Weltkrieg musste Bartning keinen Kriegsdienst leisten. Als Architekt weitgehend ohne Aufträge beschäftigte er sich mit theoretischen Fragen des Kirchenbaus und veröffentlichte 1919 das Buch "Vom neuen Kirchbau". Bartning hatte sich schon 1907 gegen den überladenen Baustil des Historismus seiner Zeit gewandt und war seit 1908 Mitglied im Deutschen Werkbund. In den politischen und sozio-ökonomischen Um- und Aufbrüchen nach dem Ende des Krieges nahm er dann bei den programmatischen Forderungen nach einer neuen Architektur eine zentrale Stellung ein: Er war 1918 Mitglied im Arbeitsrat für Kunst in Berlin und formulierte die Grundsätze einer reformierten Architekturausbildung, sie bildeten 1919 die Basis für die Gründung des Bauhauses; 1919-1923 war er Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes; 1922/23 gehörte er zu den Mitbegründern der Vereinigung von Architekten des Neuen Bauens "Der Ring"; 1926 war er beteiligt an der Gründung der Reichsforschungsgesellschaft für rationelle Baumethoden und beschäftigte sich intensiv mit den rationellen Methoden des Montagebaus; 1926 wurde er Leiter der Staatlichen Bauhochschule in Weimar, der Nachfolgeeinrichtung des nach Dessau übersiedelten Bauhauses. Als die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 1930 in Thüringen erstmals an einer Landesregierung beteiligt war, wurde die Bauhochschule aus politischen Gründen geschlossen, obgleich sie weniger radikal und experimentierfreudig arbeitete als das Bauhaus. Bis 1930 entstanden nach Bartnings Plänen Wohnhäuser, Villen (u.a. Haus Wylerberg/Kleve 1921-1924), Verwaltungsgebäude, Kliniken sowie Siedlungsbauten (u.a. 1929/30 Beteiligung an Planung und Bau der Berliner Demonstrativwohnsiedlungen Siemensstadt und Haselhorst).

Seit 1928 baute Bartning wieder Kirchen. Sakralbauten bildeten für ihn den Raum für das religiöse Handeln der versammelten Gläubigen. Dabei sollten Predigt und religiöse Feier - Kanzel und Altar - in ihrer Wechselwirkung durch enge räumliche Verbindung auf verschiedenen Ebenen zum Ausgleich gebracht werden. Als ideale Form sah er dafür den Zentralbau, in dem räumliche und liturgische Mitte übereinstimmen. Anders als sein expressionistisches Modell der Sternkirche von 1922 plante er nun jedoch im Stil des Neuen Bauens auf Sachlichkeit, Funktionalität und sparsamen Umgang mit finanziellen und materiellen Ressourcen bedacht. Herausragende Beispiele sind die Stahlkirche in Köln (1928), der Rundbau der Auferstehungskirche in Essen (1930) und die fächerförmige Gustav-Adolf-Kirche (1934) in Berlin. Ende 1933 trat Bartning, um als Architekt weiter arbeiten zu können, der Reichskulturkammer bei, nicht aber der NSDAP. In der Folgezeit plante er Kirchen: in Deutschland bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 und im Ausland bis 1944. 1941-1949 leitete er die Bauhütte zur Renovierung und zum Umbau der Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg. Nach der Zerstörung seines Berliner Büros durch Bomben 1942 übersiedelte die Familie 1943 nach Neckarsteinach und 1951 dann nach Darmstadt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahm Bartning die Oberleitung des kirchlichen Bauwesens der badischen Landeskirche. Auf den dringenden Bedarf an neuen Kirchen infolge der Kriegszerstörungen und des Zustroms von Flüchtlingen reagierte Bartning mit der Entwicklung eines "Notkirchenprogramms" für das Deutsche Evangelische Hilfswerk. Aus vorgefertigten Holzbindern und lokalem Trümmermaterial entstanden seit 1948 insgesamt 43 solcher Kirchen, die erste in Pforzheim. Dazu kamen ebenfalls als Serienprogramm entwickelt 58 Diasporakapellen, Gemeindezentren sowie Jugend- und Nachbarschaftsheime. Maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Nachkriegsarchitektur gewann Bartning neben seiner Tätigkeit als Architekt (u.a. Christuskirche Bad Godesberg, Frauenklinik Darmstadt) als Präsident des Bundes Deutscher Architekten und Vorstand des Deutschen Werkbunds seit 1950 sowie als Vorsitzender des Planungsausschusses der INTERBAU in Berlin 1957. Zudem agierte er als Jurymitglied in zahlreichen auch internationalen Wettbewerben und in der Kommission für den Wiederaufbau Helgolands.

Von den etwas über 270 nachgewiesenen Bauten Bartnings stehen vier in seiner Heimatstadt Karlsruhe: Die Markuskirche (1935), das Franz-Rohde-Haus (1938), die als Notkirche 1949 entstandene Friedenskirche im Stadtteil Weiherfeld und die Thomaskirche im Stadtteil Daxlanden (1960).

Schon 1924 erhielt Bartning die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Universität Königsberg, 1951 die der TH Aachen. Zu seinen weiteren Ehrungen zählen das Große Bundesverdienstkreuz 1953 und mit Stern 1958, 1953 wurde in Darmstadt die Otto-Bartning-Stiftung eingerichtet und 1955 wurde er in die Akademie der Künste in Berlin berufen. 2009 wurde in Karlsruhe-Knielingen die Otto-Bartning-Straße benannt.

Manfred Koch 2017

Quellen

Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt; StadtAK Nachlass Otto Bartning; Otto Bartning Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau e.V. http/www.otto-bartning.de.

Werk

Jürgen Bredow/Helmut Lerch: Materialien zum Werk des Architekten Otto Bartning, Darmstadt 1983 (Werkverzeichnis); Vom neuen Kirchbau, Berlin 1919; Erdball. Spätes Tagebuch einer frühen Reise, Oberursel 1947; Oskar Beyer (Hrsg.): Otto Bartning in kurzen Worten. Aus Schriften und Reden des Architekten, Hamburg 1954; Alfred Siemon (Hrsg.): Vom Raum der Kirche. Aus Schriften und Reden (= Baukunst des 20. Jahrhunderts, 2), Bramsche 1958.

Literatur

Ingrid Küster: Otto Bartning als Kirchenbaumeister, Dissertation Bonn 1982; Michael Koch/Hans Leopold Zollner: Bartning, Otto, in: Badische Biographien NF, Bd. II, hrsg. von Bernd Ottnad, Stuttgart 1987, S. 14-16; Christoph Schneider: Das Notkirchenprogramm von Otto Bartning, Marburg 1997; Chris Gerbing: Otto Bartning (1883–1959). Kirchenbauer, Architekt und Pädagoge zwischen Tradition und Moderne, in: Gerhard Schwinge (Hrsg.): Lebensbilder aus der badischen evangelischen Kirche, Band V: Kultur und Bildung, Heidelberg et al. 2007, S. 245–273; Werner Durth, Wolfgang Pehnt, Sandra Wagner-Conzelmann: Otto Bartning. Architekt einer sozialen Moderne (Ausstellungskatalog), Darmstadt 2017.