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Paul Niedermann


Paul Niedermann, 1941, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oIII 1863.
Paul Niedermann, 2011, Foto: ONUK, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 433/47.

Paul Niedermann

Gärtner, Hilfsarbeiter, Motorsportredakteur, Zeitzeuge, * 1. November 1927 Karlsru-he, † 8. Dezember 2018 in Bry-sur-Marne/Dép. Val-de-Marne/Frankreich, ∞ 1. 1949 Mignon Sonnenblick (* 4. September 1927 Straßburg), o/o 1956, 2. 1960 Susanne Jean-Marie Gaudin (* 8. August 1925 Riom/Dép. Puy-de-Dôme).

Paul Niedermann war der älteste Sohn des Karlsruher Synagogendieners und Friedhofaufsehers Albert Niedermann und dessen Ehefrau Friederike, geborene Heimberger. Der Vater stammte aus dem kleinen Dorf Sindolsheim bei Mosbach, die Mutter war eine Tochter der ebenfalls aus Sindolsheim nach Karlsruhe zugezogenen Familie Heimberger. Die Niedermanns wohnten in der Kronenstraße 62, seit 1937 dann in der Herrenstraße 14, Dienstwohnungen der jüdischen Gemeinde. Von hier aus wurden der 52-jährige Vater, die 45-jährige Mutter, der knapp 13 Jahre alte Paul und sein 10-jähriger Bruder Arnold mit über 900 anderen jüdischen Einwohnern am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Südfrankreich verschleppt. Unmittelbar danach hatte Paul dort seine Bar Mizwa.

Im Frühjahr 1941 wurde die Familie getrennt, die Eltern, sein Bruder und er kamen in das sogenannte Familienlager Rivesaltes, die Großeltern in das sogenannte Altenlager Noé. Paul und Arnold wurden im Frühjahr 1942 durch die jüdische Hilfsorganisation OSE (Œuvre de secours aux enfants) aus dem Lager befreit und kamen in ein Kinderheim der Organisation. Arnold konnte aufgrund seines Alters noch mit dem letzten Quäkertransport in die USA entkommen. Für Paul folgte eine Odyssee durch weitere Kinderheime und Verstecke, darunter auch das Kinderheim Izieu. Paul hatte dieses Kinderheim schon wieder verlassen, als 44 Kinder und 10 Erwachsene von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Mit einer Fluchtorganisation wurde er über Grenoble beim unmittelbar gegenüber Genf liegenden Annemasse am 29. Juli 1943 mit einer Gruppe Kinder und Jugendlicher illegal in die Schweiz in Sicherheit gebracht.

Er verblieb in einem Heim, machte dort einen Ausbildungsabschluss als Gärtner, ging dann nach Frankreich zurück, wo er aus Verbundenheit für die OSE als Gärtner arbeitete. 1949 heiratete er ein erstes Mal. Sein Arbeitsleben war lange unstet, zeitweise arbeitete er in der Redaktion einer Motorsportzeitung. In zweiter Ehe war er mit einer Frau verheiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbrachte und ein Fotohandelsgeschäft betrieb. Er half im Geschäft mit, die Familie lebte in der Nähe von Paris.

Bei seiner Aussage als Zeuge im Prozess gegen den Leiter der Gestapo Lyon Klaus Barbie, der 1987 in Lyon wegen Kriegsverbrechen in Frankreich vor Gericht stand, musste er zum ersten Mal seine Lebensgeschichte erzählen. Dies löste in ihm eine Blockade, nachdem er bis dahin nicht oder kaum über sein Schicksal hatte sprechen können. So begann er 1988, als er der Einladung der Stadt an alle Karlsruher Überlebenden des Holocaust folgte, in Schulen und Bildungseinrichtungen über seine Erinnerungen zu sprechen. Unermüdlich erzählte Niedermann fortan der jungen Generation seine Lebensgeschichte anschaulich und eindringlich. Dabei nie anklagend, zog er sie mit seiner Erzählung in den Bann.

Dem Stadtarchiv Karlsruhe überließ er die Briefe seiner Familie aus Gurs, die zweisprachig deutsch und französisch mit seiner maßgeblichen Hilfe als "Briefe - Gurs - Lettres" veröffentlicht wurden. Für seine Verdienste als Zeitzeuge erhielt er den Ludwig-Marum-Preis des SPD-Stadtverbands Karlsruhe (2006), die Hermann-Maas-Medaille der evangelischen Kirchengemeinden Gengenbach und Heidelberg (2006), den Verdienstorden am Bande der Bundesrepublik Deutschland (2007) und die Ehrenmedaille der Stadt Karlsruhe (2013).

Ernst Otto Bräunche/Jürgen Schuhladen-Krämer 2022

Quellen

GLA 480/10169; StadtAK 7/Nl Niedermann; 8/ZGS Paul Niedermann; Paul Niedermann: Auf Hass lässt sich nicht bauen. Erinnerungen, Karlsruhe 2011; Paul Niedermann: Un enfant juif, un homme libre. Mémoires, Karlsruhe 2011.

Literatur

Ernst Otto Bräunche/Jürgen Schuhladen-Krämer (Hrsg.): Briefe – Gurs – lettres. Briefe einer badisch-jüdischen Familie aus französischen Internierungslagern – Lettres d’une famille juive du Bays de Bade internée dans les camps en France, mit einem Beitrag von Paul Niedermann, Erinnerungen - Mémoires, Karlsruhe 2011 (= Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe Bd. 11); Ernst Otto Bräunche: Niedermann, Albert, in: Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, https://gedenkbuch.karlsruhe.de/namen/3205 (Zugriff am 11. Februar 2022), und Niedermann, Friederike, in: Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, https://gedenkbuch.karlsruhe.de/namen/32057 (Zugriff am 11. Februar 2022).