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Margarete Reinhardt

Version vom 24. Juni 2021, 11:09 Uhr von Stadtarchiv3 (Diskussion | Beiträge)
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Margarete Reinhardt

Barbesitzerin, Filmproduzentin, * 4. April 1909 Bibergau/Ortsteil Dettelbach/Lkr. Kitzingen), kath., † 20. Mai 1985 Karlsruhe, ∞ 1939 Gabriel Reinhardt, o|ָָo 1941, kinderlos.

Margarete Reinhardt war das siebte Kind des Ehepaares Hesselbach, bei dessen Geburt die Mutter verstarb. Über ihre Kindheit und den Schulbesuch ist nichts bekannt. Ungewiss ist auch, ob sie zeitweise in einem Kinderheim aufwuchs, bis der Vater, ein bayerischer Bahnbeamter, mit der zweiten Ehefrau in Rottendorf bei Würzburg ein kleines Eigenheim bezog. Eine Berufsausbildung nach dem Schulabschluss ist nicht nachgewiesen. Vermutlich arbeitete sie ab Ende der 1920er-Jahre als Kellnerin zunächst in Würzburg, dann ab 1931 in Stuttgart. Hier verkehrte sie im Rotlichtviertel und verdiente den Lebensunterhalt wohl auch als Prostituierte. Seit 1935 war sie mit dem Sinto Gabriel Reinhardt liiert, mit dessen Kapelle sie nach eigenen Angaben seit 1938 als Musikerin umherzog. Laut den Eintragungen in ihrem Fragebogen zur Entnazifizierung lebte sie 1933-1938 als Kellnerin in Stuttgart, 1938-1942 als Musikerin in Würzburg und 1942-1944 nach ihrer Scheidung als Geschäftsführerin wieder in Stuttgart. Es gibt keine Angaben darüber, wie und warum sie die Leitung eines Geschäfts für Gold- und Silberwaren übernommen hatte. Nach der Zerstörung des Stuttgarter Rotlichtviertels durch Luftangriffe im Juli 1944 ging Reinhardt nach Karlsruhe und lebte hier erneut im vertrauten Milieu bis 1954 in der Durlacher Straße und der Brunnenstraße. Ihren Lebensunterhalt finanzierte sie bis 1948 durch Schwarzhandel, der im Februar 1946 zu einer vierwöchigen Haftstrafe und danach zu mehrmaliger Untersuchungshaft führte.

Wovon und wie Margarete Reinhardt, die im Entnazifizierungsverfahren als entlastet eingestuft wurde, nach 1948 gelebt hat, ist nicht überliefert. 1954 hat sie dann in der Kapellenstraße die vormalige Gaststätte Lokalbahn übernommen. In den oberen Geschossen dieses nun Blume von Hawaii und wenig später Hawaii-Bar genannten Etablissements gab es ein Bordell. Damit begann Reinhardts Aufstieg zur Königin des Karlsruher Nachtlebens zumindest bis zum Beginn der 1970er-Jahre. Seit 1957 war sie Mit- und seit 1960 alleinige Inhaberin des Passage-Palasts in der Kaiserpassage bis zum Abriss und Neubau der nördlichen Kaiserpassage. Beworben wurde das Unternehmen als „führendes Haus mit Weltstadt-Varieté, Kabarett, Tanz, Bar“. Später betrieb sie noch die Goldene Spinne, eine Bierbar, und in Bretten den Scotch-Club, ein Lokal mit Spielautomaten. Flugzeuge mit Werbebannern machten auf ihre Betriebe aufmerksam und auch an Faschingsumzügen beteiligte sie sich mit eigenen Wagen. In der Stadt fiel sie mit ihrem Cadillac-Cabrio mit Heckflossen auf. 1962 gründete Margarete Reinhardt die Produktionsfirma Reinhardt-Film. Bis 1968 entstanden vier Spielfilme, mit zum Teil bekannten Darstellern und Darstellerinnen. Zu den Filmen, von denen drei in dem ihr vertrauten Nachtclub- und Bordell-Milieu spielten, steuerte Reinhardt Ideen bei und spielte in einem Film selbst die Rolle einer Barbesitzerin. 1964-1972 besaß sie ein schlossähnliches Anwesen in Reinsburg/Niederösterreich, aber die dort geplanten Dreharbeiten für Filme fanden nicht statt. Das Angebot an Konrad Adenauer, dort seine Urlaube zu verbringen, lehnte dieser dankend ab.

Die Streifen der Reinhardt-Filme fielen bei der Kritik allesamt durch und brachten keinen Gewinn. Nach einem Brand in der Hawaii-Bar 1971 verlor Reinhardt für dieses Lokal die Nachtkonzession und 1979 wurde der Pachtvertrag aufgelöst. 1975 kam sie wegen des Vorwurfs der gemeinsam mit anderen begangenen Herstellung von Falschgeld in Untersuchungshaft und erhielt 1976 eine 15-monatige Haftstrafe, die sie nicht antreten musste. 1985 verstarb die nur 1,59 Meter große und übergewichtige, einst so erfolgreiche Frau in ihrer Wohnung in der Kapellenstraße. Ihre Urne wurde in einem Familiengrab in Rottendorf bei Würzburg beigesetzt.

Manfred Koch 2021

Quellen

GLA 455, Zugang 1992, 53 Nr. 9; StadtAK 8/ZGS, Personen (Reinhardt, Margarete); Stiftung Konrad-Adenauer-Haus 1967_03_09_II_44.

Spielfilme

1962: Auf Wiedersehen am blauen Meer, https://de.wikipedia.org/wiki/Auf_Wiedersehn_am_blauen_Meer (Zugriff am 14. Mai 2021); 1962: Trompeten der Liebe, https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Pastor_mit_der_Jazztrompete (Zugriff am 14. Mai 2021); 1965: St. Pauli Herbertstraße, https://de.wikipedia.org/wiki/St._Pauli_Herbertstra%C3%9Fe (Zugriff am 14. Mai 2021); 1968: Sünde mit Rabatt, https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCnde_mit_Rabatt (Zugriff am 14. Mai 2021).

Literatur

Eva Klingler/Wolfgang Wegner: Eine Frage der Moral. Margarete Reinhardt, eine Rotlichtkarriere, Gernsbach 2020.