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Bürgerausschuss


Erste Seite der Bürgerausschussvorlage für die erste archivierte Sitzung vom 28. Dezember 1875, in der Bürgermeister Karl Schnetzler zur Konstituierung der Schulkommission vorträgt, Stadtarchiv Karlsruhe 3/B 22.

Bürgerausschuss

Im Zuge des Aufstiegs der Markgrafschaft Baden zum Großherzogtum Anfang des 19. Jahrhunderts verfügte das zweite Organisationsedikt vom 1. August 1807 die Eingliederung der Kommunen in die staatliche Verwaltungshierarchie. Das neunte Organisationsedikt vom 26. November 1809 vollendete den Weg der Städte nach französischem Vorbild zur untersten Instanz in der staatlichen Verwaltungsorganisation. Für die Verwaltung der Stadt Karlsruhe, die seit ihrer Gründung immer unter der Aufsicht der markgräflichen Behörden gestanden hatte, änderte sich damit nicht so viel wie zum Beispiel für die vormals reichsfreien Städte. Mit sehr eingeschränkten Befugnissen in Abhängigkeit von der staatlichen Aufsicht waren Bürgermeister Wilhelm Christian Griesbach, seit 1812 Oberbürgermeister, und der Stadtrat für die verbliebenen städtischen Verwaltungsaufgaben zuständig. Nur die niederen Gemeindeämter durften noch in eigener Zuständigkeit besetzt werden. Neben dem Oberbürgermeister gehörten der Bürgermeister und elf Ratsmitglieder, von denen einer die Position des Stadtverrechners innehatte, dem Stadtrat an. An subalternem Personal waren 1809 ein Aktuar, zwei Dekopisten, ein Stadtwachtmeister, zwei Ratsdiener, ein Fleischwäger, ein Schlachthausaufseher und vier Stadtdiener beschäftigt. In Angelegenheiten des Gemeindevermögens hatte in Karlsruhe aber ein aus 14 Mitgliedern bestehender Bürgerausschuss ein Mitspracherecht. 1851 wurde auf Druck Preußens die allgemeine und gleiche Wahlberechtigung der Ortsbürger, zu denen seit 1831 auch die Schutzbürger gehörten, durch ein Dreiklassenwahlrecht ersetzt.

Die verstärkten Bemühungen um eine neue Gemeindeordnung führten aber vorerst nur zum provisorischen Gesetz vom 23. August 1821, das nun allgemein neben die Gemeinderäte Bürgerausschüsse stellte, die bei besonderen finanziellen oder das Gemeindeeigentum betreffenden Fragen zusammengerufen werden mussten. Gewählt wurden die Mitglieder des Bürgerausschusses von allen Orts-, Ehren- und Schutzbürgern nach einem Dreiklassenwahlsystem für sechs Jahre, wobei alle zwei Jahre ein Drittel des Ausschusses neu gewählt wurde. Die Höchstbesteuerten stellten wie die Mittel- und Niederstbesteuerten jeweils ein Drittel der Ausschussmitglieder.

Erst die Gemeindeordnung vom 31. Dezember 1831 verringerte die Staatsvormundschaft über die Gemeinden und deren Organe, beendete sie aber nicht. Dennoch kann man auch in Baden vom Beginn der Kommunalen Selbstverwaltung sprechen. Der nun von der Gemeindeversammlung aller Bürger bzw. dem Großen Bürgerausschuss in den größeren Städten auf Zeit (zunächst sechs, dann neun Jahre) gewählte Bürgermeister saß dem von der Gemeindeversammlung gewählten Gemeinderat – auch in den größeren Städten hieß die Gemeindevertretung wie heute nicht Stadtrat - vor. Zuständig war der Bürgerausschuss vor allem für die Genehmigung der Haushaltsvoranschläge und die Rechnungsprüfung. Er musste zu allen wichtigen Entscheidungen gehört werden, besaß aber nur Kontrollfunktion gegenüber dem Gemeinderat.

Die badische Städteordnung vom 24. Juni 1874 bestätigte das Recht des Bürgerausschusses, Oberbürgermeister, Bürgermeister und Stadträte zu wählen. Die beiden Erstgenannten mit absoluter, Letztere mit relativer Mehrheit. Dem Bürgerausschuss gehörten die Mitglieder des Stadtrats - 22 gewählte Stadträte, der Oberbürgermeister und die Bürgermeister - sowie 96 Stadtverordnete an. Er musste bei allen Finanzangelegenheiten und beim Erlass von Ortsstatuten zustimmen. Ein Stadtverordnetenvorstand vertrat den Bürgerausschuss gegenüber dem Stadtrat.

Bis in das letzte Quartal des 19. Jahrhunderts setzte sich der Bürgerausschuss in der Regel aus Honoratioren der Stadt zusammen. In der nationalliberal geprägten badischen Haupt- und Residenzstadt war diese politische Ausrichtung im Bürgerausschuss dominierend, ohne dass der Bürgerausschuss als politisches Gremium angesehen werden kann. Gewählt wurde alle drei Jahre jeweils die Hälfte der Stadtverordneten auf sechs Jahre. Lange stellten die im Bürgerausschuss vertretenen Parteien eine gemeinsame Liste auf. Erst mit dem Auftreten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) rückten Parteizugehörigkeiten mehr in den Vordergrund. Die ersten drei Sozialdemokraten wurden 1890 gewählt, zwei davon auf der gemeinsamen Liste der im Bürgerausschuss vertretenen Parteien. Bei der nächsten Wahl 1893 kam eine dritte Liste, die der Handwerkerpartei hinzu. Drei Jahre später schieden Zentrum und Linksliberale wegen unüberbrückbarer Differenzen zur Nationalliberalen Partei aus der gemeinsamen bürgerlichen Liste aus und stellten eine eigene auf.

Die neue Städteordnung von 1910 hielt zwar grundsätzlich am Dreiklassenwahlrecht fest, bestimmte aber, dass nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mit gebundenen Listen zu wählen sei. Es wurden auch die Wählerklassen neu nach Sechsteln eingeteilt, der größten 3. Klasse gehörten 3 Sechstel (zuvor 9 Zwölftel) aller Wähler an, der 2. Klasse 2 Sechstel (zuvor 2 Zwölftel) und der 1. Klasse 1 Sechstel (zuvor 1 Zwölftel), was zu einer deutlichen Verschiebung der Wahlergebnisse zugunsten vor allem der SPD führte. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörten im Bürgerausschuss 30 Stadtverordnete der Nationalliberalen Partei an, 29 der SPD, 18 der Fortschrittlichen Volkspartei, 17 dem Zentrum und zwei der Konservativen Partei.

Nach dem Ende der Monarchie in der Revolution im November 1918 dauerte es noch bis zum 21. Oktober 1921, ehe die neue, auch als Bürgerausschussverfassung charakterisierte Gemeindeordnung auf die demokratische Entwicklung reagierte. Das Gesetz über die Änderung der Gemeinde- und Städteordnungen vom 13. März 1919 hatte aber immerhin schon ein allgemeines freies Gemeindewahlrecht für Männer und erstmals ein Wahlrecht für Frauen gebracht. Die Vertretung der Städte und die Verwaltung oblagen dem Stadtrat, der sich aus Oberbürgermeister und Bürgermeistern sowie den ehrenamtlichen Stadträten zusammensetzte. Oberbürgermeister und Bürgermeister wurden von den Stadträten, diese wiederum von den nun 84 Stadtverordneten des Bürgerausschusses gewählt. Hatte der Bürgerausschuss im Kaiserreich zunächst nur um die fünfmal im Jahr getagt, nahm die Zahl der Sitzungen nach 1900 zu, stieg aber nicht über zehn, um dann in der Weimarer Republik weiter zu steigen. Hier spiegelt sich die Zunahme der städtischen Aufgaben mit dem Wachsen der Stadt und dem dadurch erforderlichen Aufbau einer Leistungsverwaltung wider.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 war das Ende des Bürgerausschusses bald gekommen. Gleich im März wurde er widerrechtlich nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März umgebildet, tagte aber nicht mehr und wurde ein Jahr später komplett aufgelöst.

Die Bürgerausschussvorlagen von 1875 bis 1933 sind komplett im Stadtarchiv archiviert. Die Erschließung ist über AUGIAS-Findbuchnet zugänglich, im Lesesaal des Stadtarchivs können die Digitalisate eingesehen werden.

Ernst Otto Bräunche 2021

Quellen

Stadtarchiv Karlsruhe 3/B 19-102, 105, 1528-1536, https://www.stadtarchiv-karlsruhe.findbuch.net/php/main.php (Zugriff am 5. Juni 2021); Chronik der Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe für das Jahr 1885-1917. Jg. [1]-33. Im Auftrag der städtischen Archivkommission bearb., Karlsruhe 1886-1919; Chronik der Landeshauptstadt Karlsruhe für die Jahre 1918 und 1919; 1920 bis 1923. Jg. 34-39. Im Auftrag der Stadtverwaltung bearb., Karlsruhe 1925 und 1930, https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/literatur/chronik.de (Zugriff am 5. Juni 2021); Theodor Hartleben: Statistisches Gemälde der Residenzstadt Karlsruhe und ihrer Umgebungen, Karlsruhe 1815, S. 359, https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/literatur/literatur/statistischesgemaelde/HF_sections/content/ZZmpBRFpLH81eo/ZZmpBTP4lAjj4M/10_Dp1_Hart_Statistisches%20Jahrbuch%201815.pdf (Zugriff am 5. Juni 2021); Arthur Zierau: Überblick über die Behördenorganisation, in: Karlsruhe 1911. Festschrift der 83. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte gewidmet von dem Stadtrat der Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe, Karlsruhe 1911, S. 460-462, https://digital.blb-karlsruhe.de/blbihd/content/titleinfo/2948276 (Zugriff am 5. Juni 2021).

Literatur

Ernst Otto Bräunche: Oberbürgermeister und Bürgermeister, in: 200 Jahre kommunale Selbstverwaltung - Erfolgsgeschichte und Zukunftsmodell. Festschrift zur Hauptversammlung des Städtetags Baden-Württemberg am 23. Oktober 2008 in Baden-Baden, Stuttgart 2008, S. 68-77; Ulrich P. Ecker: Für „eine lebhafte Teilnahme der Bürger am Gemeindewesen“ - Die Geschichte der kommunalen Vertretungsorgane 1808 bis 1919, in: ebenda, S. 52-59; Christiane Pfanz-Sponagel: Zwischen Diktatur und Demokratie – Die Geschichte der kommunalen Verwaltungsorgane seit 1918, in: ebenda, S. 60-67; Hartmut Zoche: Die Gemeinde - ein kleiner Staat? Motive und Folgen der großherzoglich-badischen Gemeindegesetzgebung 1819 - 1914, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1996.