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Gerhard Leibholz


Gerhard Leibholz, 1968, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 421/49 (Bildrechte: Elga Roellecke).

Gerhard Leibholz

Jurist, Richter des Bundesverfassungsgerichts und Professor des öffentlichen Rechts, * 15. November 1901 Berlin, † 19. Februar 1982 Göttingen, ev., ∞ 1926 Sabine Bonhoeffer, 2 Töchter.

Der Göttinger Staatsrechtslehrer und langjährige Bundesverfassungsrichter Gerhard Leibholz zählt zu den großen Richterpersönlichkeiten Deutschlands. Von 1951 bis 1971 wohnte er während seiner Zugehörigkeit zum Bundesverfassungsgericht im Karlsruher Musikerviertel. Seine jüdischen Eltern ließen ihre Kinder lutherisch taufen. Nach dem Abitur studierte Leibholz in Heidelberg Rechtswissenschaften, Philosophie und politische Ökonomie. Bereits 1921 wurde er mit einer Arbeit über Johann Gottlieb Fichte zum Doktor der Philosophie promoviert. Sein juristisches Studium beendete er in Berlin. Während des Vorbereitungsdienstes beim Kammergericht in Berlin erstellte er seine wegweisende juristische Dissertation „Die Gleichheit vor dem Gesetz“. Nach dem Assessorexamen 1926 und der Habilitation über das Wesen der Repräsentation erhielt er 1929 einen Ruf auf einen Lehrstuhl für öffentliches Recht und allgemeine Staatslehre an der Universität Greifswald. Zwei Jahre später folgte Leibholz einem Ruf an die Universität Göttingen.

Die glänzend begonnene akademische Karriere erfuhr durch den nationalsozialistischen Rassenwahn eine jähe Unterbrechung. 1935 verlor Leibholz seine Göttinger Professur. Im September 1938 emigrierte er mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach England. In Deutschland zurückgeblieben waren sein Schwager Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) und sein Jugendfreund Hans von Dohnanyi (1902-1945), die beide als politisch Verfolgte von den Nazis ermordet wurden. Während des Krieges war Leibholz Gastdozent in Oxford und Berater von George Bell (1883-1958), dem Bischof von Chichester. Bell unterstützte die Bekennende Kirche in Deutschland, setzte sich für emigrierte Juden ein, hatte Kontakt zu deutschen Widerstandskreisen und kritisierte das britische Flächenbombardement Deutschlands. Nach Kriegsende hielt Leibholz in den Sommersemestern 1947 bis 1949 zunächst Gastvorlesungen in Göttingen, ehe er dort 1951 wieder einen Lehrstuhl annahm.

Im September 1951 gehörte Leibholz zur Erstbesetzung des neugeschaffenen Bundesverfassungsgerichts. Mit seinem 1952 erstellten Gutachten (Statusbericht) trug er maßgeblich dazu bei, dass das Bundesverfassungsgericht gegen den Widerstand des Bundeskanzlers und des Bundesjustizministers den Rang eines eigenständigen Verfassungsorgans erhielt und damit zum Modell einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit in und außerhalb Europas wurde. Leibholz‘ tatkräftiges Eintreten für den Status des Bundesverfassungsgerichts war nur ein verhältnismäßig kleiner Teil seiner Aktivitäten, für die Entwicklung des Gerichts erwies es sich jedoch von herausragender Bedeutung. Im Zweiten Senat wirkte er nachhaltig als Berichterstatter für die Bereiche Parlaments-, Parteien- und Wahlrecht und konnte hierbei den zuvor in seinen Schriften entwickelten Konzeptionen praktische Wirksamkeit verleihen. 1968 erhielt er das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Im Neureuter „Juristenviertel“ wurde 2006 eine Straße nach dem verdienten Staatsrechtler benannt.

Detlev Fischer 2021

Quelle

Nachlass Bundesarchiv N 1334.

Werk

Fichte und der demokratische Gedanke. Ein Beitrag zur Staatslehre, Freiburg i. Br. 1921; Die Gleichheit vor dem Gesetz. Eine Studie auf rechtsvergleichender und rechtsphilosophischer Grundlage (Diss. Universität Berlin 1924), Berlin 1925; Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems. Ein Beitrag zur allgemeinen Staats- und Verfassungslehre, Berlin 1929, 3., erweit. Aufl. 1966; Die Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild, München 1933.

Literatur

Hans Hugo Klein: Gerhard Leibholz (1901-1982), Theoretiker der Parteidemokratie und politische Denker – ein Leben zwischen den Zeiten, in: Fritz Loos (Hrsg.): Rechtswissenschaft in Göttingen, Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, S. 528-547; Manfred H. Wiegandt: Norm und Wirklichkeit, Gerhard Leibholz (1901-1982) – Leben, Werk und Richteramt, Baden-Baden 1995; Werner Heun: Leben und Werk verfolgter Juristen – Gerhard Leibholz (1901-1982), in: Kontinuitäten und Zäsuren, Göttingen 2008, S. 301-326; Christian Starck: Gerhard Leibholz (1901-1982), in: Peter Häberle u. a. (Hrsg.): Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Berlin 2. Aufl. 2018, S. 678-691.