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Willy Hugo Hellpach (Pseudonym Ernst Gystrow)


Willy Hellpach um 1920, Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Schmeiser 878.

Willy Hugo Hellpach (Pseudonym Ernst Gystrow)

Nervenarzt, Professor, Politiker, * 26. Februar 1877 Oels/Schlesien, † 6. Juli 1955 Heidelberg, ev., ∞ 1904 Olga Klin, kinderlos.

Hellpach war der Sohn eines Gerichtskalkulators und legte 1895 im schlesischen Landeshut das Abitur ab. Er studierte anschließend in Greifswald Medizin und parallel ab 1897 in Leipzig Psychologie und Philosophie, wo er 1899 bei Wilhelm Wundt zum Dr. phil. promoviert wurde. Nach bestandenem Medizinexamen 1901 folgte 1903 die Promotion zum Dr. med. 1904 ließ sich Hellpach in Karlsruhe als Nervenarzt nieder und habilitierte sich 1906 an der Technischen Hochschule mit einer Arbeit über die Wissenschaftslehre der Psychopathologie. 1911 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, 1920 erhielt er einen Lehrstuhl und wurde Direktor des Instituts für Sozialpsychologie, des ersten seiner Art in Deutschland. In seiner frühen wissenschaftlichen Arbeit widmete sich Hellpach insbesondere Themen aus dem Grenzgebiet zwischen Medizin und Psychologie, die in seinem einflussreichen Buch über die geopsychischen Erscheinungen internationale Beachtung fanden.

Im Ersten Weltkrieg leistete Hellpach zunächst Militärdienst als Arzt an der Westfront und wurde verwundet. 1915-1918 übernahm er die Leitung von Nervenlazaretten.

Nach Kriegsende schloss er sich der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an. Für wenige Monate gehörte er 1920 der Karlsruher Stadtvervordnetenversammlung an. Politisch aktiv war schon seit seit seiner Studienzeit, ohne sich in einer Partei zu engagieren. Seit 1903 tendierte er zum Liberalismus und entwicklte gegen Ende des Krieges das Konzept der Konservativen Demokratrie. Obwohl er damit u.a. eine stärker präsidiale Ausrichtung der Staatsoerganisation und eine berufsständische Parlamnetarisierung verband, forderte er die Erziehung der Staatsbürger zu Demokratebn und Republikanern, den Parlamentarismus verteidigte er 1925 im klandtag gegen heftige Kritik. Trotz Enttäuschung über die Politik seiner Partei nahm Hellpach 1922 das Amt des badischen Unterrichtsministers an. In seiner Amtszeit führte er ein neues Lesbuch und sozila-hygienische Kürse für Lehrerinnen und Lehrer ein und förderte das Jugendherbergswesen. Seine wichtigste Leistung war der Erlass grundlegender Verordnungen zum Berufsschulwesen. Turnusgemäß übernahm Hellpach 1924/25 das Amt des badischen Staatspräsidenten, ohne dort Akzente zu setzen.. Bei der Wahl zum Reichspräsidenten 1925 kandidierte er im ersten Wahlgang für die DDP und erhielt 5,8 % der Stimmen. Nach der Landtagswahl im Oktober 1925 verlor in den Koalitionsverhandlungen die DDP das Kultusministerium. Hellpach erhielt daraufhin eine Honorarprofessur für Psychologie an der Universität Heidelberg. Hellpach war Mitglied des Reichsausschusses des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und von 1925 bis 1930 Stellvertrtender Vorsitznder der DDP. 1928 kehrte er als Reichstagsabgeordneter noch einmal auf die parlamnetarische Bühne zurück, um nach zwei Jahren resignierend das Mandat niederzulegen und aus der DDP auszuscheiden, als ihm die Partei bei seinem Plan, eine große Partei der Mitte zu bilden, nicht folgte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er noch einaml in geringem Umfang publizistisch tätig und kristisierte Grundgesetz und Westanbildung der Bundesrepublik.

Nach seinem Ausscheiden aus der Politik wandte sich Hellpach in Heidelberg verstärkt seinen medizinisch-psychologischen Studien zu. In seiner umfangreichen wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit bearbeitete er auch geistes- und sozialwissenschaftliche wie politische Themen. Für seine Arbeit erhielt Hellpach mehrere Auszeichnungen, so 1952 als Erster die Wilhelm-Wundt-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland sowie 1953 die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft. 1973 wurde in Heidelberg die frühere städtische Handelslehranstalt nach ihm benannt.

René Gilbert 2014/2023

Quellen

GLA 456 E 4563 (Personalakte); N Hellpach (Nachlass); Wirken in Wirren. Lebenserinnerungen. Eine Rechenschaft über Wert und Glück, Schuld und Sturz meiner Generation, 2 Bde., Hamburg 1948/49.

Werk

Umfassende Bibliographie der reichen Publikationstätigkeit Hellpachs in: Walter Stallmeister (Hrsg.): Willy Hellpach. Beiträge zu Werk und Biographie, Bern 1991; Die geopsychischen Erscheinungen. Die Menschenseele unter dem Einfluß von Wetter und Klima, Boden und Landschaft, Leipzig 1911; Elementares Lehrbuch der Sozialpsychologie, Berlin 1933.

Literatur

Wilhelm Witte: Hellpach, Willy Hugo, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 8, Berlin 1969, S. 487 f.; Klaus Beier: Erkennen und Gestalten. Theorie und Praxis im Werk von Willy Hellpach, Berlin 1988; Claudia-Anja Kaune: Willy Hellpach (1877–1955). Biographie eines liberalen Politikers der Weimarer Republik, Bern 2005; Martin Furtwängler: Einleitung, in: Das Staatsministerium November 1921-November 1925, Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg 1918 – 1933, hrsg. von der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Bd. 3, bearbeitet von Martin Furtwängler, Ostfildern 2022, S. LI-LIV.