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Eduard Mertons Jugendstilvilla, erbaut von Curjel & Moser, Aufnahme von 1906, Pfinzgaumuseum Durlach U I 36/2.
Luftaufnahme der Hofanlage des Rittnerthofs, rechts davon die Hühnerfarm, rechts am oberen Bildrand Dach der Villa Merton erkennbar, Haus links Gärtnerhaus, 1958, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 175/187.

Rittnerthof

Markgräfin Karoline Luise kaufte 1777 das "Caduc-Guth am Rittnertwald" von Amt und Stadt Durlach mit 58 Hektar Land. Schon im Jahr zuvor hatte sie in einem Brief von einer Kutschfahrt dorthin und ihrer Absicht berichtet, dort bauen zu lassen. Wo zuvor von sechs Beschäftigten hauptsächlich Obst angebaut worden war, standen laut Brandschutzversicherung von 1782 und 1791 schon die Gebäude in dem bis heute charakteristischen Geviert des Hofes, unter anderem ein einstöckiges Wohnhaus, zwei Remisen und zwei Schweineställe sowie zwei große Stallungen. Nach dem Tod der Markgräfin 1783 erbten ihre beiden Söhne Friedrich und Ludwig den Rittnerthof, den sie 1796 mit Genehmigung des Markgrafen Karl Friedrich an einen Privatmann verkaufen durften. In den 1850er-Jahren ging der Hof mit 81 Hektar Land wieder in das Eigentum des Landesfürsten über und wurde Domänengut. Diesen vernachlässigten Hof pachtete 1864 der aus Ehrstadt bei Sinsheim stammende Bauer Abraham Sauder mit seiner Frau und zehn zum Teil bereits erwachsenen Kindern. Sauder wirtschaftete trotz der weniger fruchtbaren Böden und der Notwendigkeit, das benötigte Wasser mit Pferdefuhrwerken heranzuschaffen, so erfolgreich, dass er den Hof 1878 erwerben konnte. Da er noch im selben Jahr verstarb, führte seine Witwe mit den Söhnen den Hof bis zu ihrem Tod 1890 weiter. 1892 musste der Hof dann wegen der Erbansprüche der vielen Geschwister an Daniel Musselmann verkauft werden.

1902 erwarb der aus einer wohlhabenden jüdischen Frankfurter Unternehmerfamilie stammende 26jährige Eduard Merton den Rittnerthof. Er ließ eine Wasserleitung zum Hof verlegen und dort mehrere neue Gebäude errichten. In einem etwa 6 Hektar großen, teilweisen bewaldeten, Areal, das westlich an den Hof angrenzte, ließ er für seine Familie eine Villa, zudem ein Kutscher- und ein Gärtnerhaus durch das für seine Jugendstilarchitektur bekannte und renommierte Karlsruher Büro Curjel & Moser bauen. Merton, der sich evangelisch hatte taufen lassen, heiratete 1905 in Freiburg Elisabeth Schilling von Canstatt. Er wurde Vorstand des Landwirtschaftlichen Vereins und Aufsichtsrat der Turmbergbahn, zudem galt er in Durlach als großzügiger Spender.

Merton begann neben der landwirtschaftlichen Produktion eine Pferdezucht, musste diese aber mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wieder aufgeben und setzte nun ganz auf die landwirtschaftliche Produktion. Angebaut wurden auf etwa 125 Hektar Getreide sowie Hackfrüchte und etwa 100 Hektar dienten als Wiesen und Weiden. Der Tierbestand umfasste 13 Pferde, 60 Rinder und 30 Schweine. 1926 richtete Mertons Tochter rechts neben dem Hof eine Geflügelfarm mit 1.400 Legehennen ein. Da die Ertragslage des Hofs Ende der 1920er-Jahre immer schlechter wurde, entschloss sich Merton im Juni 1933 den Hof zu verkaufen. Kurz zuvor hatten Nationalsozialisten den Verkaufsstand des Hofs auf dem Durlacher Marktplatz attackiert. Er lebte danach bis zu seinem Tod in einem Esslinger Krankenhaus im September 1939 in der Karlsruher Händelstraße 17.

Neuer Besitzer des Rittnerthofs wurde Fritz Gebhard. Den ehemaligen Piloten der Luftwaffe und promovierten Volkswirt führte seine Karriere in Industrieunternehmen 1927 zum Vorsitz im Vorstand des Maschinenbauunternehmens Henschel AG in Kassel. Da er seit 1917 mit der zum Protestantismus konvertierten Jüdin Thea Frank verheiratet war, musste er wegen der nationalsozialistischen Rassenideologie die Firma - versehen mit einer großzügigen Abfindung - verlassen. Das ermöglichte ihm den Kauf des Hofs und er bezog mit Frau und zwei Töchtern die Jugendstilvilla. Als Verwalter stellte er Kurt Hansch ein. Gebhardt bereiste 1934/35 auf der Suche nach einer Existenz als Unternehmer außerhalb Deutschlands mehrfach die USA. Dabei begann er eine Beziehung zu einer jüngeren Frau. Als er seiner Geliebten nach einem Jahr eröffnete, sie nicht heiraten zu wollen, erschoss sie ihn im November 1935 in New York mit seinem Revolver. Seine Tochter Hannelore heiratete 1938 Kurt Hansch in England, da die Nationalsozialisten die Schließung sogenannter Mischehen verboten hatten. Sie genoss nun den Schutz einer "privilegierten Ehe", den ihre Mutter mit dem Tod ihres Mannes verloren hatte. Deshalb überschrieb die Mutter 1939 kurz vor ihrer Emigration in die Schweiz den Hof ihrem Schwiegersohn und rettete ihn so als Familienbesitz vor der Arisierung. Bis heute ist die Erbengemeinschaft Gebhardt Eigentümerin des Rittnerthofs. Das Ehepaar Hansch führte den Betrieb in dem Umfang weiter, wie ihn Merton und sein Verwalter entwickelt hatten. So wurden täglich 600 bis 700 Liter Milch und etwa 500 Eier auf dem Hof erzeugt und an die Abnehmer ausgeliefert. Auf dem Hof gab es eine Schmiede, eine Gärtnerei, eine Milchzentrifuge, eine Backstube, eine Räucher- und eine Eierkammer, eine Mostpresse, eine Waschküche sowie für die 30 Beschäftigten eine Hofküche.

Der Rittnerthof diente ab 1942 nach dem Beginn der Deportation von Juden in die Vernichtungslager mehrfach für jeweils zwei bis drei Wochen auch als Versteck für zwei bedrohte Jüdinnen. Hannelores unverheiratete Schwester wurde als landwirtschaftliche Arbeitskraft reklamiert und so vor der Deportation bewahrt. Zudem unterstützte die Familie Hansch auch die Versorgung anderer in einer Gartenhütte auf dem Turmberg versteckter Juden. Hannelore Hansch, die von ihrem 1936 begonnenen Studium der evangelischen Theologie 1938 als "Halbjüdin" ausgeschlossen worden war, gehörte der in Opposition zum Regime stehenden Bekennenden Kirche an.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach der Währungsreform 1948 mussten die Hofbesitzer den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen Tribut zollen. Höhere Löhne für die Landarbeiter und Investitionen für die Mechanisierung minderten die Erträge. Die Familie vermietete deshalb die Villa und zog selbst in das aufgestockte Gutshaus. Nachdem bis Ende der 1950er-Jahre die Haltung von Milchkühen ganz aufgegeben worden war, verpachteten die Besitzer den Hof komplett mit 70 Hektar Nutzfläche. Die Familie Hansch zog erneut um in ein anstelle des ehemaligen Gärtnerhauses im Bauhausstil errichtetes Gebäude.

Der 24-jährige Pächter Manfred Bitterich hatte sich auf Gütern der Südzucker AG die nötige Kenntnis für den Ackerbau angeeignet. Er bezog im Juli 1961 das Gutshaus, pachtete weitere 60 Hektar dazu, beendete bald auch die Haltung von Hühnern sowie Schweinen und konzentrierte sich erfolgreich auf den Anbau von Zuckerrüben, Getreide und Winterweizen als Saatgut. Ende 1991 lief der Pachtvertrag mit Bitterich aus, neuer Pächter wurde Helmuth Ristow. Der Inhaber einer Firma für Alarmanlagen in Durlach, die er 1993 an einen Schweizer Konzern verkaufte, funktionierte mit seiner Frau den Rittnerthof zu einem Reiterhof mit Pensionstierhaltung um. Dazu ließ er anstelle der alten Feldscheuer östlich der Hofgebäude eine große Reithalle bauen. Mit Bitterich einigte sich Ristow darauf, dass dieser die Landwirtschaft weiterbetrieb. Das Ende des Rittnerthofs als landwirtschaftliches Gut kam dann 2009. Die Anbauflächen wurden an andere Landwirte verpachtet. Der Reiterhof mit seinen 12 Hektar benötigten Weideflächen existiert seit 2014 mit neuem Pächter bis heute.

Mit Beginn der 1970er-Jahre zogen nach und nach neue Mieter ein. 1985 verzeichnete das Adressbuch der Stadt Karlsruhe zehn Mieter, darunter einen Antiquitätenhandel und das Angebot zum Ponyreiten für Kinder auf dem Hof. In der Jugendstilvilla wurde von 1957 bis 1981 ein Alters- und Pflegeheim betrieben. Die Erbengemeinschaft Gebhardt verkaufte 1969 das Kutscherhaus mit großem Grundstück, 1981 das Gelände der wegen Baufälligkeit abgerissenen Jugendstilvilla und 2007 nach dem Tod von Hannelore Hansch das Wohnhaus der Familie.

Das Kutscherhaus mit seiner exklusiven Höhenlage gestaltete der neue Besitzer im Inneren in eine luxuriöse Villa um. Zudem erreichte er trotz der Lage in einem Landschaftsschutzgebiet die Genehmigung zum Bau einer Reithalle. Nach zweifachem Besitzerwechsel erwarb der Inhaber der Ettlinger Firma Flowtex Manfred Schmider das Anwesen. Er ließ ohne Genehmigung eine Schwimmhalle anbauen, erhielt die Genehmigung für einen Hubschrauberlandeplatz, funktionierte 1992 die Reithalle in eine Tennishalle um und erwarb Mitte der 1990er-Jahre den auf den Grundmauern der Villa Merton entstandenen Bau als Gästehaus.

Mehrfach rückte das Anwesen in den Fokus der Öffentlichkeit. 1972 drehte Volker Schlöndorff hier die Innenaufnahmen zu dem Film "Die Moral der Ruth Halbfass" mit Senta Berger in der Hauptrolle. 1999 im Juli war es Schauplatz für die opulente Feier zum 50. Geburtstag des Flowtex-Unternehmers mit vielen prominenten Gästen des Landes, der Region und der Stadt. Bereits sieben Monate später am 4. Februar 2000 flog das Betrugsmodell der Firma Flowtex auf, mit dem bei den Kreditgebern ein Schaden von 2,2 Milliarden Euro entstanden war. 2018 drehte der SWR am wieder leerstehenden Originalschauplatz Aufnahmen für den Fernsehfilm "Big Manni" und danach kam es vor Ort zur öffentlichen Versteigerung des Villeninventars.

Manfred Koch 2022

Quellen

GLA 136/698; StadtAK 5/Durlach A 994 und 3340, 7/Nl. Steinmetz 54.

Literatur

Joseph Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe, 2. Aufl. Karlsruhe 1990, S. 426-432 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 9); Helmuth Ristow: Gut Rittnerthof. Von der markgräflichen Obstbaumkultur zum modernen Reiterhof, Books on Demand 2017; Manfred Koch: Ein landwirtschaftliches Gut mit Geschichte(n). Der Rittnerthof auf dem Turmberg, in: Blick in die Geschichte. Karlsruher stadthistorische Beiträge, Nr. 136, https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/stadtarchiv/blick-in-die-geschichte/ausgaben/blick-136/rittnerthof (Zugriff am 3. November 2022).