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Nassauer Hof


Nassauer Hof

Häuserzeile in der Langen Straße (heute Kaiserstraße im Bereich des Kronenplatzes), am rechten Bildrand ist noch ein Teil des Gasthauses Rappen, des späteren Nassauer Hofs, mit einer Laterne über dem Eingang zu sehen, Lithographie um 1840, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS XIVe 102.
Häuserzeile in  der Langen Straße (heute Kaiserstraße im Bereich des Kronenplatzes), am rechten Bildrand ist noch ein Teil des Gasthauses Rappen, des späteren Nassauer Hofs, mit einer Laterne über dem Eingang zu sehen, Lithographie um 1840, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS XIVe 102.
Das Freundestrio Johannes Brahms, Hermann Levi und Julius Allgeyer war im Nassauer Hof häufig zu Gast, Foto um 1863, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oIV 212.
Das Freundestrio Johannes Brahms, Hermann Levi und Julius Allgeyer war im Nassauer Hof häufig zu Gast, Foto um 1863, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oIV 212.
Der Wirt des Nassauer Hofs Julius Odenheimer mit seiner Frau, Aufnahme um 1930, Privatbesitz.
Der Wirt des Nassauer Hofs Julius Odenheimer mit seiner Frau, Aufnahme um 1930, Privatbesitz.
Kriegsstraße 88, ehemals Nassauer Hof, Foto: Monika Müller-Gmelin 2024, Presse- und Informationsamt, Stadt Karlsruhe.
Kriegsstraße 88, ehemals Nassauer Hof, Foto: Monika Müller-Gmelin 2024, Presse- und Informationsamt, Stadt Karlsruhe.

Im Karlsruher Adressbuch von 1846 ist der Nassauer Hof erstmals verzeichnet. Der Metzger Jeremias Reutlinger, der davor eine Metzgerei mit Wirtschaft an der Langen Straße betrieb, hatte das mit Schild und Realrecht ausgestattete Lokal an der südwestlichen Straßenecke des Zirkels mit der Kronenstraße eröffnet. 1860 zog er erneut um auf die andere Seite der Langen Straße Ecke Kronenstraße, an der das schon lange bestehende Gasthaus Rappen stand, das früher einmal Karlsruhes Oberbürgermeister Joseph Bernhard Dollmätsch betrieben hatte. Die neue von Friedrich Weinbrenner sehr repräsentativ gestaltete Synagoge befand sich im Blickfeld. Der Nassauer Hof war aber nicht nur bei jüdischen Gästen beliebt. So verkehrte hier etwa der berühmte Komponist Johannes Brahms mit seinen Freunden, dem Dirigenten am Großherzoglichen Hoftheater Hermann Levi, und dem Fotografen Julius Allgeyer, der in Karlsruhe mit seinem Bruder eines der ersten Fotostudios betrieb. Brahms schwärmte vor allem von der gebackenen Gänseleber Reutlingers, von der er sich einmal eine Portion nach Wien nachschicken ließ. Der Tochter Reutlingers empfahl er einen Flügel für ihre Übungen im Klavierspiel. An diesem Flügel lernte auch noch die Urenkelin Reutlingers Alice Krieger, die bereits 1913 im Alter von 18 Jahren als Pianistin in Karlsruhe auftrat und 1939 wegen der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten in die USA auswanderte und dort unter anderem in der Carnegie Hall in New York konzertierte.

Der aus Grötzingen stammende Bernhard Sinauer, der die Tochter Reutlingers geheiratet hatte, übernahm das Lokal seines Schwiegervaters nach der deutschen Reichsgründung von 1871. Die wilhelminische Ära sollte auch das Gesicht der Kaiserstraße, wie die Lange Straße seit 1879 hieß, verändern. Die Architektur Weinbrenners wurde bald als zu schlicht und nicht repräsentativ genug empfunden. Viele Geschäftshäuser wurden daher im Stilgemisch des Historismus, mehrstöckig und mit einer aufwändigen Fassadengestaltung errichtet. Auch Sinauer wollte sich diesem Trend nicht entziehen und riss das alte Gasthaus ab und errichtete einen dreistöckigen Neubau mit einem hohen Dachgeschoss, der der neuen Zeit in der Gestaltung Rechnung trug. Außerdem war hier nun ein Hotelbetrieb möglich. Dieses Gebäude bestand noch bis 1974, als es im Rahmen der Altstadtsanierung dem Kronenplatz weichen musste. Der Nassauer Hof befand sich dort aber schon längst nicht mehr.

Nachdem Ferdinand Odenheimer das Lokal 1896 übernommen hatte, verlegte er es wenig später in das heute nicht mehr vorhandene Gebäude Zähringerstraße 100, ehemals Sitz der Rheinischen Kreditbank. Nach seinem frühen Tod 1897 führte seine Witwe Babette das Lokal noch etwa ein Jahrzehnt an dieser Stelle weiter. Ihr Sohn Julius Odenheimer ließ danach das 1889 für einen Glasermeister im Neorenaissancestil erbaute mehrstöckige Haus Kriegsstraße 88 (damals 32) von dem renommierten Architekturbüro Curjel & Moser für den Nassauer Hof zum Hotel-Restaurant umbauen und mit einem Saalanbau zum Hof ausstatten. Es war das einzige jüdische Hotel-Restaurant in Karlsruhe, das auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 noch koschere Küche anbot. Nach den zunehmenden Repressionen des neuen Regimes waren viele Karlsruherinnen und Karlsruher jüdischer Abstammung mehr oder weniger zur Auswanderung gezwungen worden und hatten ihren Besitz meist unter Wert verkauft und ihren Wohnsitz aufgegeben. Sie warteten unter anderem im Nassauer Hof auf ihre Ausreise. Bei dem Novemberpogrom der Nationalsozialisten 1938, bei dem auch die beiden in Karlsruhe vorhandenen Synagogen zerstört wurden, wurden sie aus dem Hotel gezerrt und mussten zu Fuß einen Marsch zum Gefängnis in der Riefstahlstraße antreten. Dabei kam der Kaufmann Leopold Friedmann ums Leben, der einen Herzinfarkt erlitt. An sein Schicksal erinnert heute ein Stolperstein vor dem Gebäude, an dem zudem eine Gedenktafel die Ereignisse schildert. Dem Wirt Julius Odenheimer und seiner Frau Frieda gelang noch 1940 die Flucht in die USA, wo er 1953 starb.

Der ehemalige Nassauer Hof wurde nun zu einem sogenannten Judenhaus deklariert, in dem noch in Karlsruhe verbliebene Jüdinnen und Juden wohnten. Sie wurden von dort in das südfranzösische Internierungslager Gurs und später, soweit ihnen die Auswanderung von dort nicht geglückt war, nach Auschwitz deportiert. An drei Bewohnerinnen des Nassauer Hofs, die in das Vernichtungslager gebracht und ermordet wurden, erinnern heute ebenfalls Stolpersteine vor dem Gebäude. Es steht unter Denkmalschutz und diente der Evangelischen Stadtmission in der Nachkriegszeit als Altenpflegeheim. Heute betreibt das Diakonische Werk dort eine Beratungsstelle für Wohnungslose und den Tagestreff Tür.

Peter Pretsch 2024

Quelle

Karlsruher Adressbücher https://digital.blb-karlsruhe.de/Drucke/topic/view/485648 (Zugriff am 9. Juni 2024).

Literatur

Peter Pretsch: Juden im Karlsruher Kulturleben des 19. und ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, in: Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung, Karlsruhe 1988, 2. Auflage 1990 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 8), S. 345-372, Buch zum Download (PDF); Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1988, 2. Auflage 1990 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 9), Buch zum Download (PDF) (Zugriff jeweils am 9. Juni 2024).