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De:Lexikon:ereig-0048: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:Ereig-0048.jpg|200px|thumb|left|Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach ernennt den Hof- und Schutzjuden Salomon Meyer zum Hoffaktor, 12. Februar 1767, Stadtarchiv Karlsruhe 7/Nl Meyer-Model 3.]]

[[Datei:Ereig-0048.jpg|200px|thumb|left|<small>Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach ernennt den Hof- und Schutzjuden Salomon Meyer zum Hoffaktor, 12. Februar 1767, Stadtarchiv Karlsruhe 7/Nl Meyer-Model 3.</small>]]


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Markgraf <lex id="bio-0562">Karl Wilhelm von Baden-Durlach</lex> gestattete neben Angehörigen der christlichen Religionen auch Juden die Ansiedlung und zwar zu relativ moderaten Bedingungen, die er auch im <lex id="ereig-0023">Stadtprivileg</lex> von 1722 verankerte. Dies war aber wohl weniger ein Zeichen religiöser Toleranz als des wirtschaftlichen Nutzens und politisches Mittel zur Wirtschaftsförderung in seiner neuen Residenz. Seit 1718 lassen sich jüdische Einwohner in Karlsruhe nachweisen, 1735 lebten 62 Familien mit 282 Personen in Karlsruhe, was 12% der Bevölkerung entsprach.
Markgraf <lex id="bio-0562">Karl Wilhelm von Baden-Durlach</lex> gestattete neben Angehörigen der christlichen Religionen auch Juden die Ansiedlung und zwar zu relativ moderaten Bedingungen, die er auch im <lex id="ereig-0023">Stadtprivileg</lex> von 1722 verankerte. Dies war aber wohl weniger ein Zeichen religiöser Toleranz als des wirtschaftlichen Nutzens und politisches Mittel zur Wirtschaftsförderung in seiner neuen Residenz. Seit 1718 lassen sich jüdische Einwohner in Karlsruhe nachweisen, 1735 lebten 62 Familien mit 282 Personen in Karlsruhe, was 12% der Bevölkerung entsprach.


1724 setzte der Markgraf den Hoffaktor <lex id="bio-0547">Salomon Meyer</lex> als Judenschultheiß ein, der 50 Jahre bis 1774 die Geschicke der jüdischen Gemeinde leitete. In dieser Funktion war er gemeinsam mit dem <lex id="ereig-0297">Rabbiner</lex> und seit 1736 drei Judenvorstehern für die niedere Gerichtsbarkeit, die Einhaltung der jüdischen Vorschriften und die Einteilung der Gemeinde in Steuerklassen zuständig. Die Existenz dieses Amtes unterstreicht die Sonderstellung des jüdischen Bevölkerungsteils im 18. Jahrhundert. Nach Meyers Tod blieb die Stelle des Judenschultheißen zehn Jahre unbesetzt, erst im Mai 1784 folgte ihm der Hoffaktor <lex id="bio-1381">Hayum Levi</lex>, der bis 1804 im Amt blieb. Danach wurden die Geschäfte des Judenschultheiß von den vier Vorstehern im Wechsel weitergeführt. 1814 übernahmen Ortsälteste (bis 1833) und Synagogenratsvorsitzende diese Aufgaben.
1724 setzte der Markgraf den Hoffaktor <lex id="bio-0547">Salomon Meyer</lex> als Judenschultheiß ein, der 50 Jahre bis 1774 die Geschicke der jüdischen Gemeinde leitete. In dieser Funktion war er gemeinsam mit dem <lex id="ereig-0297">Rabbiner</lex> und seit 1736 drei Judenvorstehern für die niedere Gerichtsbarkeit, die Einhaltung der jüdischen Vorschriften und die Einteilung der Gemeinde in Steuerklassen zuständig. Die Existenz dieses Amtes unterstreicht die Sonderstellung des jüdischen Bevölkerungsteils im 18. Jahrhundert. Nach Meyers Tod blieb die Stelle des Judenschultheißen zehn Jahre unbesetzt, erst im Mai 1784 folgte ihm der Hoffaktor <lex id="bio-1381">Hayum Levi</lex>, der bis 1804 im Amt blieb. Nun wurden die Geschäfte des Judenschultheiß von den vier Vorstehern im Wechsel weitergeführt. 1814 übernahmen Ortsälteste (bis 1833) und dann Synagogenratsvorsitzende diese Aufgaben.


Schon am 15. Juli 1718 hatte der Markgraf <lex id="bio-0862">Nathan Uri Kahn</lex> zum Unterrabiner bestellt, der für die Leitung des Gottesdienstes, den Unterricht und die allgemeinen Verwaltungsarbeiten zuständig war. Obwohl Kahn umstritten war, blieb er bis 1750 im Amt. Ihm folgten bis 1940 16 weitere Rabbiner, sechs von ihnen für die zweite, seit 1869 bestehende jüdische Gemeinde, die Israelitische Religionsgemeinschaft.
Schon am 15. Juli 1718 hatte der Markgraf <lex id="bio-0862">Nathan Uri Kahn</lex> zum Unterrabiner bestellt, der für die Leitung des Gottesdienstes, den Unterricht und die allgemeinen Verwaltungsarbeiten zuständig war. 1722 erwarb die jüdische Gemeinde als Reaktion auf das rasche Anwachsen ein Wohnhaus und nutzte dies seitdem als Synagoge nutzte nur zwei Jahre nach der Niederlassung der ersten Juden in Karlsruhe gab es 1720 bereits 14, jüdische Familien mit 71 Personen, so dass beim Kauf des Wohnhauses wohl um die 100 Juden und Jüdinnen in Karlsruhe lebten.


Wesentliche rechtliche Verbesserungen brachte 1809 das badische <lex id="ereig-0281">Judenedikt</lex>. Nun hatten Juden unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis und jüdische Männer waren berechtigt, alle Berufe zu erlernen und zu ergreifen. Abgeschlossen war die rechtliche Gleichstellung 1862 mit dem Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Juden.
Wesentliche rechtliche Verbesserungen brachte 1809 das badische <lex id="ereig-0281">Judenedikt</lex>. Nun hatten Juden unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis und jüdische Männer waren berechtigt, alle Berufe zu erlernen und zu ergreifen. Abgeschlossen war die rechtliche Gleichstellung 1862 mit dem Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Juden.


Damit verbunden war der Weg in die Assimilation und Akkulturation, welche die seit Jahrhunderten gewachsene eigene Tradition und Kultur langfristig auflöste und den jüdischen Glauben zu einer Konfession unter anderen machte, Juden sollten badische Staatsbürger israelitischen Glaubens werden.
Damit verbunden war der Weg in die Assimilation und Akkulturation, welche die seit Jahrhunderten gewachsene eigene Tradition und Kultur langfristig auflöste und den jüdischen Glauben zu einer Konfession unter anderen machte, Juden sollten badische Staatsbürger israelitischen Glaubens werden. Änderungen des traditionellen Ritus im Gottesdienst führten 1869 zur Abspaltung einer orthodoxen Minderheit in der jüdischen Gemeinde, der späteren Israelitischen Religionsgesellschaft. Vor allem bei dem geplanten Einbau einer Orgel zeigten sich die Differenzen. Als 1871 die Weinbrennersynagoge einem Brandunglück zum Opfer fiel, bekam der von Joseph Durm ausgeführte Neubau der liberalem Mehrheit eine Orgel, die 1881 fertiggestellte Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft entsprach dagegen weiterhin den Vorstellungen der Traditionalisten.


Spielten die Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst in erster Linie eine wichtige Rolle als Bankiers und Handelsmänner – <lex id="bio-0619">David von Eichthal</lex>, <lex id="bio-1013">Salomon Haber</lex>, <lex id="bio-1290">Löw Homburger</lex>, <lex id="bio-1319">Jakob Kusel</lex> oder <lex id="bio-0814">Elkan Reutlinger</lex>, später noch <lex id="bio-1398">Veit L. Homburger</lex> und <lex id="bio-1832">Abraham Strauß</lex> – kamen Ende des 19. Jahrhunderts auch Fabrikanten und Industrielle hinzu, zum Beispiel hatten die Malzfabrik <lex id="ins-0153">Wimpfheimer</lex> in <lex id="top-1955">Mühlburg</lex> und die Textilfirma <lex id="ins-0026">Vogel und Schnurmann</lex> jüdische Besitzer. Bedeutende <lex id="ereig-0152">Kaufhäuser</lex> waren das <lex id="ins-0260">Warenhaus Knopf</lex>, das Modegeschäft <lex id="ins-1507">Simon Model</lex> und das Textilhaus <lex id="ins-0227">Leipheimer & Mende</lex> in der <lex id="top-1431">Kaiserstraße</lex>.
Spielten die Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst in erster Linie eine wichtige Rolle als Bankiers und Handelsmänner – <lex id="bio-0619">David von Eichthal</lex>, <lex id="bio-1013">Salomon Haber</lex>, <lex id="bio-1290">Löw Homburger</lex>, <lex id="bio-1282">Jakob Kusel</lex> oder <lex id="bio-0814">Elkan Reutlinger</lex>, später noch <lex id="bio-1398">Veit L. Homburger</lex> und <lex id="bio-1832">Abraham Strauß</lex> – kamen Ende des 19. Jahrhunderts auch Fabrikanten und Industrielle hinzu, zum Beispiel hatten die Malzfabrik <lex id="ins-0153">Wimpfheimer</lex> in <lex id="top-1955">Mühlburg</lex> und die Textilfirma <lex id="ins-0026">Vogel und Schnurmann</lex> jüdische Besitzer. Bedeutende <lex id="ereig-0152">Kaufhäuser</lex> waren das <lex id="ins-0260">Warenhaus Knopf</lex>, das Modegeschäft <lex id="ins-1507">Simon Model</lex> und das Textilhaus <lex id="ins-0227">Leipheimer & Mende</lex> in der <lex id="top-1431">Kaiserstraße</lex>.


Auch in der Kommunalpolitik fassten Juden Fuß, erstes Mitglied im <lex id="ins-1015">Bürgerausschuss</lex> war 1842 <lex id="bio-0651">Adolf Bielefeld</lex>, erster <lex id="ins-1095">Stadtrat</lex> <lex id="bio-1109">Veit Ettlinger</lex> 1848. Im badischen <lex id="ins-1519">Landtag</lex> vertraten Karlsruhe <lex id="bio-0641">Rudolf Kusel</lex>, 1861 der erste jüdische badische Landtagsabgeordnete, <lex id="bio-1833">Jakob Gutmann</lex>, <lex id="bio-0692">Robert Goldschmit</lex>, <lex id="bio-1396">Ludwig Frank</lex>, <lex id="bio-0541">Ludwig Marum</lex>, <lex id="bio-0752">Leo Kullman</lex> und <lex id="bio-1834">Leopold Neumann</lex>. 1862 wurde <lex id="bio-0368">Moritz Ellstätter</lex> badischer Finanzminister und damit erster Jude in einem Ministeramt in Deutschland.
Auch in der Kommunalpolitik fassten Juden Fuß, erstes Mitglied im <lex id="ins-1015">Bürgerausschuss</lex> war 1842 <lex id="bio-0651">Adolf Bielefeld</lex>, erster <lex id="ins-1095">Stadtrat</lex> <lex id="bio-1109">Veit Ettlinger</lex> 1848. Im badischen <lex id="ins-1519">Landtag</lex> vertraten Karlsruhe <lex id="bio-0641">Rudolf Kusel</lex>, 1861 der erste jüdische badische Landtagsabgeordnete, <lex id="bio-1833">Jakob Gutmann</lex>, <lex id="bio-0692">Robert Goldschmit</lex>, <lex id="bio-1396">Ludwig Frank</lex>, <lex id="bio-0541">Ludwig Marum</lex>, <lex id="bio-0752">Leo Kullman</lex> und <lex id="bio-1834">Leopold Neumann</lex>. 1862 wurde <lex id="bio-0368">Moritz Ellstätter</lex> badischer Finanzminister und damit erster Jude in einem Ministeramt in Deutschland.


Auch im kulturellen Leben spielten nun Juden eine zunehmend wichtigere Rolle, darunter die Dichter <lex id="bio-0288">Ludwig Robert</lex> und <lex id="bio-0283">Alfred Mombert</lex>, der Sänger <lex id="bio-1835">Hermann Rosenberger</lex>, die Sängerinnen <lex id="bio-1836">Bianca Bianchi</lex> und <lex id="bio-1837">Sabine Heinefetter</lex>, der Schauspieler <lex id="bio-0365">Ludwig Dessoir</lex>, die Dirigenten <lex id="bio-0329">Hermann Levi</lex> und <lex id="bio-0315">Otto Dessoff</lex>, der Pianist <lex id="bio-0334">Heinrich Ordenstein</lex>, Gründer des <lex id="ins-1022">Badischen Konservatoriums</lex>, die Pianistin <lex id="bio-1397">Alice Krieger</lex> und die Architekten <lex id="bio-0197">Robert Curjel</lex> und <lex id="bio-0668">Ludwig Levy</lex>.
Im kulturellen Leben übernahmen Juden eine zunehmend wichtigere Rolle, darunter die Dichter <lex id="bio-0288">Ludwig Robert</lex> und <lex id="bio-0283">Alfred Mombert</lex>, der Sänger <lex id="bio-1835">Hermann Rosenberger</lex>, die Sängerinnen <lex id="bio-1836">Bianca Bianchi</lex> und <lex id="bio-1837">Sabine Heinefetter</lex>, der Schauspieler <lex id="bio-0365">Ludwig Dessoir</lex>, die Dirigenten <lex id="bio-0329">Hermann Levi</lex> und <lex id="bio-0315">Otto Dessoff</lex>, der Pianist <lex id="bio-0334">Heinrich Ordenstein</lex>, Gründer des <lex id="ins-1022">Badischen Konservatoriums</lex>, die Pianistin <lex id="bio-1397">Alice Krieger</lex> und die Architekten <lex id="bio-0197">Robert Curjel</lex> und <lex id="bio-0668">Ludwig Levy</lex>.


In der Frühzeit des zunächst bürgerlichen Karlsruher <lex id="ereig-0105">Fußballs</lex> spielten der Fußballpionier <lex id="bio-0498">Walther Bensemann</lex> und die beiden einzigen deutschen Fußballnationalspieler jüdischen Glaubens <lex id="bio-0503">Gottfried Fuchs</lex> und <lex id="bio-0506">Julius Hirsch</lex> eine wichtige Rolle.
In der Frühzeit des zunächst bürgerlichen Karlsruher <lex id="ereig-0105">Fußballs</lex> spielten der Fußballpionier <lex id="bio-0498">Walther Bensemann</lex> und die beiden einzigen deutschen Fußballnationalspieler jüdischen Glaubens <lex id="bio-0503">Gottfried Fuchs</lex> und <lex id="bio-0506">Julius Hirsch</lex> eine wichtige Rolle.


Der relative Anteil der jüdischen Bevölkerung nahm danach kontinuierlich ab, stellten sie 1801 noch etwas über 6 % Bevölkerung, so lag ihr Anteil 1831 nur noch bei 4,7 %, obwohl ihre absolute Zahl von 535 auf 1.035 Menschen gestiegen war. 1852 war die Zahl auf 1.073, im Jahr 1900 auf über 2.500 angewachsen. 1933 waren es 3.119 Juden, die sich nun einer bis dahin - trotz durchaus zuvor schon vorhandener antijüdischer Ressentiments - nur sehr schwer vorstellbaren antisemitischen Terrorpolitik der neuen <lex id="ereig-0016">nationalsozialistischen</lex> Machthaber ausgesetzt sahen. Ihre Geschäfte wurden zunächst boykotiert, dann verwüstet oder „arisiert“. Dem Judenboykott am 1. April 1933 folgten Diskriminierung und Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben sowie 1935 die Entrechtung durch die Nürnberger Gesetze. Ein vorläufiger Höhepunkt war erreicht, als am 9. November 1938 auch in Karlsruhe in der sogenannten Reichskristallnacht (Novemberpogrom) die Synagogen brannten. Bis 1939 flohen knapp zwei Drittel der jüdischen Einwohner. Am <lex id="ereig-0095">22. Oktober 1940</lex> wurden die in der Stadt verbliebenen fast alle in das südfranzösische Lager <lex id="ins-1325">Gurs</lex> verschleppt und die meisten von ihnen später in den Vernichtungslagern im Osten ermordet. Insgesamt wurden über 1.000 Karlsruher Jüdinnen und Juden von den Nazis ermordet.
Der relative Anteil der jüdischen Bevölkerung nahm kontinuierlich ab, stellten sie 1801 noch etwas über 6 % Bevölkerung, so lag ihr Anteil 1831 nur noch bei 4,7 %, obwohl ihre absolute Zahl von 535 auf 1.035 Menschen gestiegen war. 1852 war die Zahl auf 1.073, im Jahr 1900 auf über 2.500 angewachsen. 1933 waren es 3.119 Juden, die sich nun einer bis dahin - trotz durchaus zuvor schon vorhandener antijüdischer Ressentiments und Auschreitungen z. B. im 19. Jahrhundert die <lex id="ereig-0216">Hepp-Hepp-Unruhen</lex> oder in der <lex id="ereig-0212">Weimarer Republik</lex> der Warenhaussturm 1920 - nur sehr schwer vorstellbaren antisemitischen Terrorpolitik der neuen <lex id="ereig-0016">nationalsozialistischen</lex> Machthaber ausgesetzt sahen. Ihre Geschäfte wurden zunächst boykotiert, dann verwüstet oder <lex id="ereig-0264">"arisiert"</lex>. Dem <lex id="ereig-0219">Judenboykott</lex> am 1. April 1933 folgten Diskriminierung und Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben sowie 1935 die Entrechtung durch die Nürnberger Gesetze. Ein vorläufiger Höhepunkt war erreicht, als am 9. November 1938 auch in Karlsruhe in der sogenannten <lex id="ereig-0224">Reichskristallnacht</lex> (Novemberpogrom) die Synagogen brannten. Bis 1939 flohen knapp zwei Drittel der jüdischen Einwohner. Am <lex id="ereig-0095">22. Oktober 1940</lex> wurden die in der Stadt verbliebenen fast alle in das südfranzösische Lager <lex id="ins-1325">Gurs</lex> verschleppt und die meisten von ihnen später in den Vernichtungslagern im Osten ermordet. Insgesamt wurden über 1.000 Karlsruher Jüdinnen und Juden von den Nazis ermordet.

Anfang 1945 lebten noch 18 Jüdinnen und Juden z. T. in Verstecken in Karlsruhe. Die erste, noch nicht wieder organisierte jüdische Nachkriegsgemeinde zählte gerade einmal 39 Mitglieder, die aus den Konzentrationslagern zurückkamen, oder aber versteckt worden waren und so überlebt hatten. Im Juni 1946 war die Zahl auf 91 gestiegen, 1960 waren es 170. Nach dem <lex id="ereig-0074">Krieg</lex> wuchs die jüdische Gemeinde zunächst also nur langsam. Als sie 1971 eine neue Synagoge an der <lex id="top-1579">Knielinger Allee</lex> erhielt, lag die Zahl noch unter 350. Vor allem durch Zuwanderung aus dem Osten und auch durch vereinzelte Rückwanderung aus anderen Ländern stiege die Zahl dann kontinuierlich an. 2013 hatte die Gemeinde 960 Mitglieder.


Die erste, noch nicht wieder organisierte jüdische Nachkriegsgemeinde zählte gerade einmal 39 Mitglieder, die aus den Konzentrationslagern zurückkamen, oder aber versteckt worden waren und so überlebt hatten. Nach dem <lex id="ereig-0074">Krieg</lex> wuchs die jüdische Gemeinde, die 1971 eine neue Synagoge an der <lex id="top-1579">Knielinger Allee</lex> erhielt, vor allem durch Zuwanderung aus dem Osten und auch durch vereinzelte Rückwanderung aus anderen Ländern. 2013 hatte die Gemeinde 960 Mitglieder.


Jüdischer Bevölkerungsanteil 1733-2013<br/>
Jüdischer Bevölkerungsanteil 1733-2013<br/>
1733 282/12,0% der Bevölkerung<br/>
1733: 282/12,0% der Bevölkerung<br/>
1799 529/ca. 7,2%<br/>
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1852 1.073/4,4%<br/>
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1900 2.576/2,6%<br/>
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1933 3.119/2,0%<br/>
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1939 1.375/0,7%<br/>
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1946 63/0,04%<br/>
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2013 960/0,3%<br/>
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<div style="text-align:right;">''Ernst Otto Bräunche 2015''</div>
<div style="text-align:right;">''Ernst Otto Bräunche 2015''</div>


==Literatur==
==Literatur==
Juden in Karlsruhe, hrsg. von Ernst Otto Bräunche/Manfred Koch/Heinz Schmitt, Karlsruhe 1988 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 8); Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, 2. überarb. und erweit. Aufl., Karlsruhe 1990 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 9); Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, http://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/gedenkbuch (Zugriff am 16. November 2015).
Juden in Karlsruhe, hrsg. von Ernst Otto Bräunche/Manfred Koch/Heinz Schmitt, Karlsruhe 1988 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 8), [https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/securedl/sdl-eyJ0eXAiOiJKV1QiLCJhbGciOiJIUzI1NiJ9.eyJpYXQiOjE2NTg4NDM0MDYsInVzZXIiOjAsImdyb3VwcyI6WzAsLTFdLCJmaWxlIjoiZmlsZWFkbWluXC91c2VyX3VwbG9hZFwvTWFuZGFudGVuc2VpdGVuXC9TdGFkdGFyY2hpdlwvMDVfU3RhZHRnZXNjaGljaHRlXC8wNF9QdWJsaWthdGlvbmVuXC9WZXJncmlmZmVuZVwvSnVkZW5faW5fS2FybHNydWhlX29wdC5wZGYiLCJwYWdlIjoyNzgyfQ.Ixg_uPSxt9oa4SJCtc8F7I82zgZeoCzhfz-pWTWI8LY/Juden_in_Karlsruhe_opt.pdf Buch zum Download (PDF)]; Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, 2. überarb. und erweit. Aufl., Karlsruhe 1990 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 9), [https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/securedl/sdl-eyJ0eXAiOiJKV1QiLCJhbGciOiJIUzI1NiJ9.eyJpYXQiOjE2NTg4NDM0MDYsInVzZXIiOjAsImdyb3VwcyI6WzAsLTFdLCJmaWxlIjoiZmlsZWFkbWluXC91c2VyX3VwbG9hZFwvTWFuZGFudGVuc2VpdGVuXC9TdGFkdGFyY2hpdlwvMDVfU3RhZHRnZXNjaGljaHRlXC8wNF9QdWJsaWthdGlvbmVuXC9WZXJncmlmZmVuZVwvSGFrZW5rcmV1el91bmRfSnVkZW5zdGVybi5wZGYiLCJwYWdlIjoyNzgyfQ.BPIQX24NsSNhWy6OksXCtNR2hnURB_TQregsNCa6RZw/Hakenkreuz_und_Judenstern.pdf Buch zum Download (PDF)]; Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, https://gedenkbuch.karlsruhe.de/start (Zugriff jeweils am 27. Juli 2022); Marco Wottge: "Arisierung" in der Zeit des Nationalsozialismus in Karlsruhe, Karlsruhe 2020 (= Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe Bd. 20).

<big>Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Karlsruhe aus jüdischen Periodika</big><br/>
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_texte.htm<br/>
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_religionsgesellschaft.htm<br/>
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_rabbiner_lehrer.htm<br/>
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_personen.htm<br/>

Aktuelle Version vom 9. März 2023, 08:11 Uhr


Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach ernennt den Hof- und Schutzjuden Salomon Meyer zum Hoffaktor, 12. Februar 1767, Stadtarchiv Karlsruhe 7/Nl Meyer-Model 3.

Juden

Im heutigen Karlsruher Stadtgebiet lebten schon lange vor der Stadtgründung im Jahr 1715 Juden. 1349 zählte Durlach zu den Städten, in denen Juden für die Pest verantwortlich gemacht wurden. Doch erst im 16. Jahrhundert gibt es wieder sichere Hinweise auf Durlacher Juden. Eine nennenswerte Größe erreichte die jüdische Gemeinde nach der Zerstörung der Stadt 1689. 1714 lebten hier 100 Juden, von denen die meisten aber nach der Gründung von Karlsruhe dorthin zogen. Auch in Grötzingen gab es vor der Stadtgründung von Karlsruhe Juden, 1709 waren hier fünf jüdische Familien ansässig. Während es in Durlach nach 1715 keine jüdische Gemeinde mehr gab, entwickelte sich die Grötzinger Gemeinde weiter, bis 1940 gehörten ihr auch die wenigen Durlacher Juden an.

Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach gestattete neben Angehörigen der christlichen Religionen auch Juden die Ansiedlung und zwar zu relativ moderaten Bedingungen, die er auch im Stadtprivileg von 1722 verankerte. Dies war aber wohl weniger ein Zeichen religiöser Toleranz als des wirtschaftlichen Nutzens und politisches Mittel zur Wirtschaftsförderung in seiner neuen Residenz. Seit 1718 lassen sich jüdische Einwohner in Karlsruhe nachweisen, 1735 lebten 62 Familien mit 282 Personen in Karlsruhe, was 12% der Bevölkerung entsprach.

1724 setzte der Markgraf den Hoffaktor Salomon Meyer als Judenschultheiß ein, der 50 Jahre bis 1774 die Geschicke der jüdischen Gemeinde leitete. In dieser Funktion war er gemeinsam mit dem Rabbiner und seit 1736 drei Judenvorstehern für die niedere Gerichtsbarkeit, die Einhaltung der jüdischen Vorschriften und die Einteilung der Gemeinde in Steuerklassen zuständig. Die Existenz dieses Amtes unterstreicht die Sonderstellung des jüdischen Bevölkerungsteils im 18. Jahrhundert. Nach Meyers Tod blieb die Stelle des Judenschultheißen zehn Jahre unbesetzt, erst im Mai 1784 folgte ihm der Hoffaktor Hayum Levi, der bis 1804 im Amt blieb. Nun wurden die Geschäfte des Judenschultheiß von den vier Vorstehern im Wechsel weitergeführt. 1814 übernahmen Ortsälteste (bis 1833) und dann Synagogenratsvorsitzende diese Aufgaben.

Schon am 15. Juli 1718 hatte der Markgraf Nathan Uri Kahn zum Unterrabiner bestellt, der für die Leitung des Gottesdienstes, den Unterricht und die allgemeinen Verwaltungsarbeiten zuständig war. 1722 erwarb die jüdische Gemeinde als Reaktion auf das rasche Anwachsen ein Wohnhaus und nutzte dies seitdem als Synagoge nutzte – nur zwei Jahre nach der Niederlassung der ersten Juden in Karlsruhe gab es 1720 bereits 14, jüdische Familien mit 71 Personen, so dass beim Kauf des Wohnhauses wohl um die 100 Juden und Jüdinnen in Karlsruhe lebten.

Wesentliche rechtliche Verbesserungen brachte 1809 das badische Judenedikt. Nun hatten Juden unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis und jüdische Männer waren berechtigt, alle Berufe zu erlernen und zu ergreifen. Abgeschlossen war die rechtliche Gleichstellung 1862 mit dem Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Juden.

Damit verbunden war der Weg in die Assimilation und Akkulturation, welche die seit Jahrhunderten gewachsene eigene Tradition und Kultur langfristig auflöste und den jüdischen Glauben zu einer Konfession unter anderen machte, Juden sollten badische Staatsbürger israelitischen Glaubens werden. Änderungen des traditionellen Ritus im Gottesdienst führten 1869 zur Abspaltung einer orthodoxen Minderheit in der jüdischen Gemeinde, der späteren Israelitischen Religionsgesellschaft. Vor allem bei dem geplanten Einbau einer Orgel zeigten sich die Differenzen. Als 1871 die Weinbrennersynagoge einem Brandunglück zum Opfer fiel, bekam der von Joseph Durm ausgeführte Neubau der liberalem Mehrheit eine Orgel, die 1881 fertiggestellte Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft entsprach dagegen weiterhin den Vorstellungen der Traditionalisten.

Spielten die Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst in erster Linie eine wichtige Rolle als Bankiers und Handelsmänner – David von Eichthal, Salomon Haber, Löw Homburger, Jakob Kusel oder Elkan Reutlinger, später noch Veit L. Homburger und Abraham Strauß – kamen Ende des 19. Jahrhunderts auch Fabrikanten und Industrielle hinzu, zum Beispiel hatten die Malzfabrik Wimpfheimer in Mühlburg und die Textilfirma Vogel und Schnurmann jüdische Besitzer. Bedeutende Kaufhäuser waren das Warenhaus Knopf, das Modegeschäft Simon Model und das Textilhaus Leipheimer & Mende in der Kaiserstraße.

Auch in der Kommunalpolitik fassten Juden Fuß, erstes Mitglied im Bürgerausschuss war 1842 Adolf Bielefeld, erster Stadtrat Veit Ettlinger 1848. Im badischen Landtag vertraten Karlsruhe Rudolf Kusel, 1861 der erste jüdische badische Landtagsabgeordnete, Jakob Gutmann, Robert Goldschmit, Ludwig Frank, Ludwig Marum, Leo Kullman und Leopold Neumann. 1862 wurde Moritz Ellstätter badischer Finanzminister und damit erster Jude in einem Ministeramt in Deutschland.

Im kulturellen Leben übernahmen Juden eine zunehmend wichtigere Rolle, darunter die Dichter Ludwig Robert und Alfred Mombert, der Sänger Hermann Rosenberger, die Sängerinnen Bianca Bianchi und Sabine Heinefetter, der Schauspieler Ludwig Dessoir, die Dirigenten Hermann Levi und Otto Dessoff, der Pianist Heinrich Ordenstein, Gründer des Badischen Konservatoriums, die Pianistin Alice Krieger und die Architekten Robert Curjel und Ludwig Levy.

In der Frühzeit des zunächst bürgerlichen Karlsruher Fußballs spielten der Fußballpionier Walther Bensemann und die beiden einzigen deutschen Fußballnationalspieler jüdischen Glaubens Gottfried Fuchs und Julius Hirsch eine wichtige Rolle.

Der relative Anteil der jüdischen Bevölkerung nahm kontinuierlich ab, stellten sie 1801 noch etwas über 6 % Bevölkerung, so lag ihr Anteil 1831 nur noch bei 4,7 %, obwohl ihre absolute Zahl von 535 auf 1.035 Menschen gestiegen war. 1852 war die Zahl auf 1.073, im Jahr 1900 auf über 2.500 angewachsen. 1933 waren es 3.119 Juden, die sich nun einer bis dahin - trotz durchaus zuvor schon vorhandener antijüdischer Ressentiments und Auschreitungen z. B. im 19. Jahrhundert die Hepp-Hepp-Unruhen oder in der Weimarer Republik der Warenhaussturm 1920 - nur sehr schwer vorstellbaren antisemitischen Terrorpolitik der neuen nationalsozialistischen Machthaber ausgesetzt sahen. Ihre Geschäfte wurden zunächst boykotiert, dann verwüstet oder "arisiert". Dem Judenboykott am 1. April 1933 folgten Diskriminierung und Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben sowie 1935 die Entrechtung durch die Nürnberger Gesetze. Ein vorläufiger Höhepunkt war erreicht, als am 9. November 1938 auch in Karlsruhe in der sogenannten Reichskristallnacht (Novemberpogrom) die Synagogen brannten. Bis 1939 flohen knapp zwei Drittel der jüdischen Einwohner. Am 22. Oktober 1940 wurden die in der Stadt verbliebenen fast alle in das südfranzösische Lager Gurs verschleppt und die meisten von ihnen später in den Vernichtungslagern im Osten ermordet. Insgesamt wurden über 1.000 Karlsruher Jüdinnen und Juden von den Nazis ermordet.

Anfang 1945 lebten noch 18 Jüdinnen und Juden z. T. in Verstecken in Karlsruhe. Die erste, noch nicht wieder organisierte jüdische Nachkriegsgemeinde zählte gerade einmal 39 Mitglieder, die aus den Konzentrationslagern zurückkamen, oder aber versteckt worden waren und so überlebt hatten. Im Juni 1946 war die Zahl auf 91 gestiegen, 1960 waren es 170. Nach dem Krieg wuchs die jüdische Gemeinde zunächst also nur langsam. Als sie 1971 eine neue Synagoge an der Knielinger Allee erhielt, lag die Zahl noch unter 350. Vor allem durch Zuwanderung aus dem Osten und auch durch vereinzelte Rückwanderung aus anderen Ländern stiege die Zahl dann kontinuierlich an. 2013 hatte die Gemeinde 960 Mitglieder.


Jüdischer Bevölkerungsanteil 1733-2013
1733: 282/12,0% der Bevölkerung
1799: 529/ca. 7,2%
1852: 1.073/4,4%
1900: 2.576/2,6%
1933: 3.119/2,0%
1939: 1.375/0,7%
1946: 63/0,04%
1960: 173/ca. 0,1%
1983: 350/ca. 0,1%
2013: 960/0,3%

Ernst Otto Bräunche 2015

Literatur

Juden in Karlsruhe, hrsg. von Ernst Otto Bräunche/Manfred Koch/Heinz Schmitt, Karlsruhe 1988 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 8), Buch zum Download (PDF); Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, 2. überarb. und erweit. Aufl., Karlsruhe 1990 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 9), Buch zum Download (PDF); Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, https://gedenkbuch.karlsruhe.de/start (Zugriff jeweils am 27. Juli 2022); Marco Wottge: "Arisierung" in der Zeit des Nationalsozialismus in Karlsruhe, Karlsruhe 2020 (= Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe Bd. 20).

Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Karlsruhe aus jüdischen Periodika
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_texte.htm
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_religionsgesellschaft.htm
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_rabbiner_lehrer.htm
https://www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_personen.htm