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Weimarer Republik


Badische Regimentsfahnen verlassen Karlsruhe; vor dem Werderpalais, 22. September 1920, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oVI 37.
Postkarte mit einer Ansicht des Marktplatzes, um 1930, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIIIb 530.
Luftbild der Innenstadt und der Kaiserstraße mit Blick nach Osten, um 1930, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 392/109.

Weimarer Republik

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete für Karlsruhe das Ende des Status als großherzoglich badische Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe, aus der nach der Abdankung des letzten Großherzogs Friedrich II. die Hauptstadt des Freistaats Baden wurde. Die Entwicklung Karlsruhes zur Industriestadt fand nun ein abruptes Ende. Dabei spielte der Verlust des Hofes nach der Abdankung des letzten Großherzogs 1918 keine Rolle. Karlsruhe blieb unverändert Landeshauptstadt mit dem gesamten Verwaltungsapparat und den zentralen Einrichtungen. Allerdings lag es nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages in der entmilitarisierten Zone, was den Verlust der Garnison als ökonomischer Faktor in der Stadt bedeutete. Die letzten Truppen wurden am 22. September 1920 feierlich verabschiedet.

Die großherzoglichen Kulturinstitutionen führte das Land fort, und es richtete im Schloss das Badische Landesmuseum ein. Die Stadt musste für die Kulturförderung nach der Revolution durchaus beachtliche Beträge aufbringen, vor allem für das Theater und das Badische Konservatorium. Am 26. Juni 1922 wurde eine neue Städtische Volksbücherei in dem ehemaligen Koelleschen Gebäude in der Karl-Friedrich-Straße 21 eröffnet. Das Stadtarchiv wurde aber ein Opfer der rapiden Verschlechterung der finanziellen Lage der Stadt. Seine Räumlichkeiten in dem Archivgebäude in der Gartenstraße, die es erst 1896 bezogen hatte, wurden für das Arbeitsamt benötigt.

Ausschlaggebend für die Stagnation in der Stadtentwicklung nach 1918 wurde die neue Grenze zu Elsass-Lothringen, das wieder an Frankreich fiel. Dadurch verlor die Karlsruher Industrie ein wichtiges Absatzgebiet. Zudem traf die vorübergehende Unterbrechung der Auslandsbeziehungen die exportorientierte Maschinenindustrie besonders hart. Die Umstellung von der nicht unbedeutenden Rüstungs- auf Friedensproduktion führte zu einer hohen Labilität im Karlsruher Wirtschaftsleben. Der Industriestandort Karlsruhe im Schatten der Grenze zu Frankreich war auch für Investoren nicht mehr attraktiv, einzige nennenswerte Neuansiedlung war der französische Reifenhersteller Michelin. Die Rheinhafenbesetzung durch französische Truppen 1923 verstärkte diese Unsicherheit.

Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme schlugen sich auch in der Bevölkerungszahl nieder. Sie stieg zwischen 1920 (137.349 Einwohner) und 1933 (154.902 Einwohner) zwar um 12,8 Prozent, ohne die Eingemeindungen Bulachs und Knielingens, aber nur um gut sechs Prozent. Auch die Erwerbsstruktur zeigte gegenüber der Vorkriegszeit eine Veränderung. 1933 überwogen die beiden Bereiche Handel und Verkehr sowie Dienstleistungen den Bereich produzierendes Gewerbe deutlich, während sie 1907 noch gleich stark waren. Karlsruhe hatte sich zu einer Stadt des Handels und der Dienstleistungen entwickelt (Beamtenstadt).

Die schon im Ersten Weltkrieg unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln blieb auch in den Nachkriegsjahren zunächst bestehen, so dass es bald zu Hungerde-monstrationen und zu Protesten gegen zu hohe Preise kam, in denen sich teilweise auch antisemitische Vorurteile artikulierten. Die Versorgungslage besserte sich nach dem Inflationsjahr 1923 allerdings deutlich. Das Problem der hohen Arbeitslosigkeit, das gleich nach Kriegsende in bis dahin nicht gekanntem Maße auftrat, wurde aber trotz vorübergehender Abschwächung nicht gelöst. Nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 verschlechterte sich die Situation nach einer kurzen Besserung rasch, die Zahl der Arbeitslosen stieg wieder an und erreichte 1932 ihren Höhepunkt.

In die kurze wirtschaftliche Erholungsphase von 1924-1929 zwischen dem Ende der Inflation und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise fiel in Karlsruhe die Veröffentlichung des weitsichtig angelegten Generalbebauungsplans 1926. Neue Straßenbahnverbindungen entstanden 1926 nach Knielingen, 1928 nach Daxlanden und 1929 nach Rintheim (Öffentlicher Nahverkehr). 1926 wurde die Autobuslinie nach Rüppurr eröffnet. Der zunehmenden Motorisierung trug die erste, am 7. Januar 1924 eröffnete Tankstelle Rechnung, der innerhalb von vier Jahren 22 weitere folgten.

Bereits im Frühjahr 1925 waren die ersten Flugzeuge auf dem neuen, von Notstandsarbeitern angelegten Flugplatz auf dem ehemaligen Exerzierplatz gelandet (Luftverkehr).

Der großen Wohnungsnot nach dem Krieg begegnete man mit der Einrichtung von Notwohnungen in den vom Militär frei gemachten Kasernen. Mit dem Bau neuer Wohnsiedlungen am Stadtrand setzten in den Jahren der Weimarer Republik die Stadt und eine Reihe von Wohnungsbaugenossenschaften die Bemühungen um gesunden und erschwinglichen Wohnraum fort. 1919 wurde zum Beispiel die Handwerkerbaugenossenschaft Hardtwaldsiedlung, 1920 die Baugenossenschaft Gartenvorstadt Grünwinkel, 1922 die Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft vertriebener Elsaß-Lothringer m.b.H. gegründet. Eine Sonderstellung nahm die Parksiedlungsgenossenschaft "Eigenhandbau" ein, deren Genossen im Binsenschlauch hinter der Telegraphenkaserne in der heutigen Nordweststadt Einfamilienhäuser im Eigenbetrieb bauten. Herausragendes Beispiel für den modernen Siedlungsbau wurde der von Walter Gropius konzipierte Dammerstock (1929) mit seiner funktionalen Grundrissgestaltung und den damals ungewohnten Flachdächern im Stil des Bauhauses. Weitere stadtbildprägende Neubauten entstanden nicht, es wurde mit der Matthäus-Kirche in der Südweststadt 1927 auch nur eine neue Kirche eingeweiht.

Am Ende der Weimarer Republik bestimmten Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Not den Karlsruher Alltag. Die Straßen- und Saalschlachten zwischen den Parteien fanden nach dem Einzug der Nationalsozialisten in den Landtag und den Bürgerausschuss, dort bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verbal, gelegentlich sogar handgreiflich (Rathausschlacht), ihre Fortsetzung.

Politisch war aus der im Kaiserreich noch weitgehend nationalliberal dominierten badischen Landeshauptstadt zunächst eine Stadt geworden, in der die Weimarer Koalition aus Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD), Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und Zentrum die Richtung vorgab. Erstmal durften Frauen wählen und konnten in die Parlamente gewählt werden. An der Spitze der Stadt stand mit Oberbürgermeister Julius Finter seit 1919 ein Linksliberaler, der 1933 von den Nationalsozialisten zum Rücktritt gezwungen wurde.

Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise war die Zahl der Wähler und Wählerinnen der antisemitischen Nationalsozilistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)-Wähler und Wählerinnen so rapide angestiegen, dass die Nationalsozialisten schon 1930 zur stärksten politischen Kraft wurden. So trugen hohe Arbeitslosigkeit und die Notlage weiter Bevölkerungsteile auch in Karlsruhe zur Destabilisierung der Weimarer Demokratie entscheidend bei. 1933 wurde aus der Landeshauptstadt die Gau-und Landeshauptstadt Karlsruhe.

Ernst Otto Bräunche/Manfred Koch 2015

Literatur

Manfred Koch: Karlsruher Chronik. Stadtgeschichte in Daten, Bildern, Analysen, Karlsruhe 1992, S. 29-31, S. 148-164 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 14) https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/materialien-zur-stadtgeschichte/publikationen-zur-stadtgeschichte-digital/buecher-zur-stadtgeschichte/vergriffene-publikationen-stadtarchiv; Ernst Otto Bräunche: "... eine Wohnungsnot, die katastrophale Ausmaße annahm. "Zur Wohnungssituation in Karlsruhe vom Kriegsende 1918 bis zum Bau der Dammerstocksiedlung 1929, in: Neues Bauen der 20er Jahre. Gropius, Haesler, Schwitters und die Dammerstocksiedlung in Karlsruhe 1929 (Ausstellungskatalog Badisches Landesmuseum), Karlsruhe 1997, S. 23-38; ders.: Residenzstadt, Landeshauptstadt, Gauhauptstadt. Zwischen Demokratie und Diktatur 1914-1945. in: Susanne Asche/Ernst Otto Bräunche/Manfred Koch/Heinz Schmitt/Christina Wagner: Karlsruhe - Die Stadtgeschichte, Karlsruhe 1998, S. 358-502, S. 381-454 https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/materialien-zur-stadtgeschichte/publikationen-zur-stadtgeschichte-digital/buecher-zur-stadtgeschichte/vergriffene-publikationen-stadtarchiv (Zugriff jeweils am 6. November 2023); Ernst Otto Bräunche, Frank Engehausen und Jürgen Schuhladen-Krämer (Hrsg.): Aufbrüche und Krisen. Karlsruhe 1918-1933, Karlsruhe 2020 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 35), dort Quellen und weitere Literatur.