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Antisemitismus


Anzeige im Karlsruher Tagblatt vom 30. März 1881.
Handzettel des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes 1920, Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 20/600.
Antisemitische Karikatur im Führer vom 2. März 1932.
Antisemitische Karikatur im Führer vom 2. März 1932.
Aufruf zum Boykott am 1. April 1933, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5/23.
Viele Menschen folgten dem Aufruf der NSDAP, sich am 1. April 1933 auf dem Marktplatz anlässlich des Judenboykotts einzufinden, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Bildstelle III 1115.
Zerstörte Synagoge in der Kronenstraße nach dem 9. November 1938, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIVc 160.

Antisemitismus

Antisemitismus ist auch in Karlsruhe kein Phänomen des Nationalsozialismus. Der Begriff wurde 1860 von dem österreichischen Orientalisten Moritz Steinschneider geprägt. Aktuell wird Antisemitismus als eine von Hass geprägte Wahrnehmung von Juden bezeichnet. Verbale und physische Auspägungen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nicht-jüdische Personen und/oder ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Gemeinden und religiöse Einrichtungen.

Auch im heutigen Stadtgebiet konnte der Antisemitismus anknüpfen an antijüdische Ausschreitungen im Mittelalter zum Beispiel in Durlach. Das Deutzer Memorbuch nennt unter den Opfern der Pogrome am Oberrhein im Umfeld der Pest- und Krisenjahre um 1349 auch Durlacher Juden. Zu den von den Hepp-Hepp-Unruhen 1819 betroffenen Städten gehörte auch Karlsruhe, als es vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen und sozialen Krise zu antijüdischen Ausschreitungen kam. Auch im Vorfeld der Revolution von 1848/49 wurde zum Beispiel 1848 das Haus des jüdischen Bankiers Moritz Haber von einem Mob belagert.

Kaiserreich

Nach der Gründung des Deutschen Reiches war es zunächst der Antisemit und evangelische Hofprediger Adolf Stoecker, der in Karlsruhe versuchte, mit seinen Vorstellungen Anhänger zu gewinnen. Er selbst war aber nur einmal 1881 zu einem politischen Vortrag in der Stadt, als er einen Vortrag in einem Fabriksaal auf Beiertheimer Gemarkung halten musste, weil er in Karlsruhe selbst keinen Versammlungsraum bekommen hatte. Dennoch wurde über seine antisemitische Agitation auch in der Karlsruher Presse immer wieder berichtet. Stoeckers 1878 gegründete Christlich-Soziale Arbeiterpartei, ab 1881 Christlich-Soziale Partei, blieb letztlich aber ohne größere Resonanz. Stoecker war zwar noch mehrfach in der Stadt, sprach aber meist über religiöse Fragen in seiner Eigenschaft als Hofprediger, ohne dass er dort erkennbar antisemitische Themen behandelte. Auch die Deutschkonservative Partei, der Stoecker zeitweise angehörte, kam im nationalliberal dominierten Karlsruhe der Kaiserzeit nach 1880 zu keinen größeren Erfolgen bei den Reichstagswahlen. Der preußische Gesandte berichtete aber seit 1890 wiederholt von deutlich antisemitischen Tendenzen bei den badischen Konservativen. Auch Stoecker trat im Wahlkampf vor den Reichstagswahlen 1893 in konservativen Versammlungen auf, vermied aber laut dem preußischen Gesandten weitgehend antisemitische Ausfälle.

Die Deutsch-Soziale Partei des antisemitischen Publizisten und Reichstagsabgeordneten Max Liebermann von Sonnenberg war nur kurz aktiv. 1891 gegründet löste sich die Karlsruher Ortsgruppe nach dem schlechten Abschneiden der Partei bei den Reichstagswahlen 1898 wieder auf. Schon im Jahr zuvor war die antisemitische Zeitung Deutsche Volkswacht, später Wacht am Rhein, eingestellt worden. Insgesamt gelang es den antisemitischen Parteien nicht, in Karlsruhe nennenswerte Erfolge zu erzielen.

Einflussreiche antisemitisch geprägt Verbände wie der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband - eine Ortgruppe wird erstmals im Adressbuch von 1889 aufgeführt - oder der Alldeutsche Verband, dessen Karlsruher Ortsgruppe am 18. Januar 1899 gegründet wurde, waren aber erfolgreicher und erreichten unter dem Deckmantel eines vorgeblichen Patriotismus einen Teil des konservativen und rechtsliberalen Karlsruher Bürgertums mit zahlreichen Vortragsversammlungen.

Und auch der Alltag war nicht frei von antisemitischen Ressentiments, vor allem in der Schule, wo jüdische Schülerinnen und Schüler sich gelegentlich antisemitischen Aggressionen ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen ausgesetzt sahen. Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass der Antisemitismus im Kaiserreich Politik und Gesellschaft in Karlsruhe nicht dominierte.

Weimarer Republik

Die konservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war die erste Partei, die nach dem Ende der Monarchie offen mit antisemitischen Inhalten um Wählerinnen und Wähler warb. Dezidiert antisemitisch agierte die DNVP auch in den folgenden Jahren immer wieder. Und auch die Parteizeitung der DNVP, das Badische Volksblatt, ab 1925 Badische Zeitung, brachte immer wieder Artikel mit antisemitischem Inhalt. Der konservative Antisemitismus war ein Teil des DNVP-Wahlprogramms und machte es später wohl so manchem Parteimitglied und -wähler leichter, die antisemitische Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) zu unterstützen. Die Rolle der DNVP als Steigbügelhalter der NSDAP 1933 war also auch in Karlsruhe vorbereitet.

Als ein früher Brennpunkt antisemitischer Agitation stellte sich auch die Technische Hochschule heraus, wo mit den zurückkehrenden Soldaten und Offizieren deren Anteil und Einfluss und damit auch antisemitische Tendenzen unter der Studentenschaft stiegen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte es vereinzelte Hinweise auf Antisemitismus in der Studentenschaft gegeben. Daran knüpften diese 1919 an, als sie sich unter anderem massiv gegen die Berufung jüdischer Professoren wandten.

Darüber hinaus war in Karlsruhe auch bald der im Februar 1919 gegründete Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund, ein ausgewiesen antisemitischer Verband und einer der wichtigsten Vorgänger- und Wegbereiter der NSDAP, sehr aktiv. Das 1922 zur Überwachung der links- und rechtsextremen Parteien neu geschaffene Badische Landespolizeiamt führte eine Vielzahl weiterer völkischer Gruppierungen auf, zu denen der Jungdeutsche Orden mit rund 120 Mitgliedern Ende 1927, der Königin-Luise-Bund mit knapp 50 sowie der Frontkriegerbund mit rund 40 Mitgliedern gehörten.

Deutlich antisemitische Züge hatten Ausschreitungen am 6. Juli 1920, als eine Meute die Warenhäuser Tietz und Knopf belagerten und letzteres stürmten. Vorausgegangen war eine vom freien Gewerkschaftskartell und der Zentrale der Betriebsräte auf dem Marktplatz organisierte Demonstration gegen die Lebensmittelteuerung, auf der im Anschluss antisemitische Hetzer zum "Aufsuchen" der Warenhäuser aufriefen. Gewerkschaften und Betriebsräte-Zentrale warnten zwar umgehend vor der Aufhetzung, konnten die Eskalation der Gewalt nicht verhindern

NSDAP

Zu diesem Zeitpunkt spielte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), die schon wenig später zur dominierenden antisemitischen Kraft in Baden und Karlsruhe werden sollte, noch keine große Rolle. Der sozialdemokratische Volksfreund wies aber wiederholt, zum Beispiel schon am 22. Dezember 1922 auf den antisemitischen Charakter der Partei hin. Erst nach der Wiedergründung der in Baden seit 11922 verbotenen NSDAP im Jahr 1925 beherrschte diese das rechtsstehende Spektrum in zunehmendem Maße und steigerte ihre antisemitische Agitation noch einmal deutlich.

Am 8./9. Februar 1926 kam es in Karlsruhe zu Schmierereien an mehreren Häusern und zu einer Synagogenschändung. Auch das Denkmal für die 58 im Ersten Weltkrieg gefallenen Karlsruher und Durlacher Juden wurde unleserlich gemacht. Diese nationalsozialistischen Schmierereien in der Synagoge waren aber nur der Anfang weiterer antisemitischer Aktivitäten.

Als 1929 sechs nationalsozialistische Landtagsabgeordnete in den badischen Landtag einzogen, sorgten deren Skandalauftritte im Ständehaus, das sie immer wieder zum Forum ihres Antisemitismus machten und für Angriffe auf die Demokratie nutzten, für Schlagzeilen. So beantragte die NSDAP allein dreimal das Verbot der Schächtung, des jüdischen Schlachtritus. Der Antrag gegen die "Verjudung" der badischen Justiz scheiterte zwar ebenso wie die Anträge gegen die jüdischen Warenhäuser, immer aber berichtete das eigene Parteiorgan Der Führer, häufig auch andere Zeitungen über diese antisemitischen Ausfälle.

Antisemitische Artikel und Karikaturen häuften sich in der Endphase der Weimarer Republik. Auf den Wahlplakaten der NSDAP fehlte zudem nie der Hinweis "Juden haben keinen Zutritt". Vor dem Kauf in so genannten jüdischen Geschäften oder dem Besuch jüdischer Zahnärzte warnte man die Leser immer und forderte stattdessen, deutsche Geschäfte und Dienstleister zu bevorzugen. Nach der Machtübernahme kam es bereits wenige Tage nach der letzten Reichstagswahl der Weimarer Republik am 13. März 1933 zu ersten antisemitischen Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte. Wenige Tage später beschloss der neuformierte Stadtrat, keine städtischen Aufträge mehr an jüdische Geschäfte zu vergeben. Am 1. April riefen die Nationalsozialisten mit Zeitungsartikeln und Flugblättern zum Judenboykott auf. Dass der Antisemitismus schon lange nicht nur auf die überzeugten Nationalsozialisten beschränkt war, zeigt die große Resonanz auf diesen Aufruf.

Die Diskriminierung der Juden gehörte nun zunehmend zum Alltag. Die Traditionsfußballvereine Phönix Karlsruhe und Karlsruher Fußballverein (KFV) kündigten zum Beispiel an, dass sie ihre jüdischen Mitglieder ausschließen wollten. Dies musste Julius Hirsch, einer von zwei deutschen Nationalspielern jüdischen Glaubens, in der Presse lesen. Hirsch wurde 1942 direkt nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. In Baden meldeten die nationalsozialistischen Zeitungen bereits einen Tag vor dem reichsweiten Gesetz "Judenfreie Behörden", da der badische Reichskommissar Gauleiter Robert Wagner schon am 5. April die Entlassung aller jüdischen Beamten angeordnet hatte. Wagner war auch dafür verantwortlich, dass der nationalsozialistische Terror in Baden bald ein erstes jüdisches Todesopfer mit dem führenden Sozialdemokraten und Karlsruher Rechtsanwalt Ludwig Marum fand. In den Angriffen auf Marum, den bedeutendsten badischen Sozialdemokraten vor 1933, bündelten sich die antidemokratischen und antisemitischen nationalsozialistischen Aggressionen. Am 10. März wurde Marum unter Missachtung seiner Immunität als Reichstagsabgeordneter verhaftet und bis zum 16. Mai im Karlsruher Gefängnis gefangen gehalten, ehe er dann in einem offenen Polizeiwagen mit sechs weiteren Sozialdemokraten in einer Schaufahrt durch Karlsruhe und Durlach in das KZ Kislau bei Bruchsal transportiert wurde. In der Nacht vom 28. auf den 29. März 1934 wurde er dort im Schlaf von dem SA-Hauptsturmführer und Gestapokommissar Karl Sauer und weiteren SA-Leuten erwürgt.

Gut viereinhalb Jahre später brannten auch in Karlsruhe die Synagoge in der Kronenstraße sowie jene in der Karl-Friedrich-Straße. Nach dem Novemberpogrom am 9./10. November 1938 war den meisten Jüdinnen und Juden endgültig klar, dass auch ihr Leben bedroht und mit der Hilfe etwa der Kirchen als Institutionen oder anderer gesellschaftlicher Gruppierungen nicht zu rechnen war - Hilfe und Widerstand blieben Einzelpersonen überlassen. Die Emigration stieg 1938/39 auf ihren Höhepunkt. Insgesamt gelang über 2.000 Juden die Flucht aus Karlsruhe ins Ausland. Bis Kriegsbeginn hatte sich die Zahl der jüdischen Einwohner gegenüber 1933 um rund 60 % vermindert. Anfang 1939 lebten noch 1.347 Juden in Karlsruhe. Am 22. Oktober 1940 wurden fast alle in der Stadt verbliebenen Juden in das südfranzösische Lager Gurs verschleppt und die meisten von ihnen später in den Vernichtungslagern im Osten ermordet. Insgesamt starben über 1.000 Karlsruher Jüdinnen und Juden.

Nachkriegszeit

Die Hoffnung, dass nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft der Antisemitismus aus Deutschland verschwunden sei, erfüllte sich nicht. In Karlsruhe blieben, wenn auch wenige, direkte antisemitische Ausschreitungen und Aktionen nicht aus. Eine Anfang März 1948 festgestellte Schändung des alten Jüdischen Friedhofs erwies sich aber als die Tat von Kindern und Jugendlichen aus der Alt- und der Südstadt, die auf dem Friedhof gespielt hatten und dabei etliche Grabsteine umgestoßen und beschädigt hatten. Die jüdische Gemeinde wandte sich daraufhin an Oberbürgermeister Friedrich Töpper mit dem Vorwurf, dass die Stadt keine präventiven Maßnahmen ergriffen habe. Als der Stadtrat sich in seiner Sitzung mit den Vorfällen beschäftigte, warf Friedrich Dietz (KPD) der Stadt in der teilweise erregten Debatte ebenfalls Untätigkeit vor und wies darauf hin, dass gerade in der Polizei und unter der Lehrerschaft eine Reihe von "politisch unzuverlässigen Kräften" beschäftigt seien. Der Oberbürgermeister teilte mit, dass er sich bei der Jüdischen Gemeinde entschuldigte habe und sagte zu, dass sich das Tiefbauamt umgehend um die notwendigen Maßnahmen kümmern werde. Einig waren alle Parteien, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen dürften.

Zu weiteren Schändungen jüdischer Gräber, diesmal mit eindeutig antisemitischem Hintergrund kam es 1992 und 2018 auf dem Hauptfriedhof. Inwieweit der Antisemitismus im Karlsruhe der Nachkriegszeit trotz einer intensiven städtischen, seit 1988 vor allem durch das Stadtarchiv, und von vielen anderen Institutionen unterstützten Erinnerungskultur verbreitet war und aktuell verbreitet ist, lässt sich zahlenmäßig nicht beziffern. Wie in der gesamten Bundesrepublik waren aber auch hier etliche Altnazis ohne oder mit einem Entnazifizierungsverfahren wieder in führende Positionen gelangt. Antisemitismus und antisemitische Gewalt waren und sind nach wie vor eine Herausforderung für den Rechtsstaat.

Ernst Otto Bräunche 2023

Quellen

Karlsruher Zeitungen 1871-1952, https://digital.blb-karlsruhe.de/zeitungen/topic/view/2965491, darunter Badische Neueste Nachrichten vom 20. April 1948; Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, https://gedenkbuch.karlsruhe.de/start; Stele zur Deportation der Jüdinnen und Juden am 22. Oktober 1940, https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/erinnerungskultur/erinnerungskultur-im-oeffentlichen-raum/karlsruher-stelen/stele-deportation-1940; Erinnerungskultur im öffentlichen Raum in Karlsruhe, Leitfaden zum Download (PDF) (Zugriff jeweils am 6. November 2023); Hans-Jürgen Kremer: Das Großherzogtum Baden in der politischen Berichterstattung der preußischen Gesandten 1871-1918, 2. Bde., Stuttgart 1990 und 1992 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A, Quellen Bde 42 und 43).

Literatur

Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung, Karlsruhe 1988 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 8), Buch zum Download (PDF); Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1990, S. 183-205 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 9), Buch zum Download (PDF) (Zugriff jeweils am 6. November 2023); Ernst Otto Bräunche/Volker Steck (Hrsg.): Geschichte und Erinnerungskultur. Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden in das Lager Gurs, Karlsruhe 2010; Ernst Otto Bräunche: "Eine neue Zeit der Freiheit ist angebrochen". Politik und Parteien in der Weimarer Republik, in: Ernst Otto Bräunche/Frank Engehausen/Jürgen Schuhladen-Krämer (Hrsg.): Aufbrüche und Krisen. Karlsruhe 1918-1933, Karlsruhe 2020, S. 17-67 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 35); Ernst Otto Bräunche: "Wer zieht die schwarzrotgoldene auf?". Antisemitismus in Karlsruhe 1918-1933, in: Ursula Merkel/Florentine Seifried (Hrsg.): Verborgene Spuren. Jüdische Künstler*innen und Architekt*innen in Karlsruhe 1900-1950, Petersberg 2021, S. 27-39.