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Industrialisierung und Ausblick ins 20. Jahrhundert


Die Griesbachsche Tabakfabrik am südöstlichen Marktplatz, Lithographie um 1850, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIVf 20.
Die Kesslersche Maschinenfabrik beim Ettlinger Tor, Lithographie um 1840, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIVf 37.
Die Brauerei Printz an der Kaiserallee, Postkarte um 1900, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIVf 415.
Der Rheinhafen mit dem Getreidelagerhaus (links) und Kathreiners Malzfabriken GmbH, 1913, Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Schmeiser 15724.
Nähmschinenfabrik Karlsruhe AG vorm. Haid & Neu, Zeichnung von Hans Lack, um 1959, Stadtarchiv Karlsruhe oXIVf 201.
Junker & Ruh an der Bannwaldallee, Farbdruck einer Zeichnung von Hans Lack, um 1920, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS XIVf 45.
Firma Wolff & Sohn an der Durlacher Allee, um 1970, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIVf 319.
Die neue Firmenniederlassung von Siemens, 1954, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIVF 56.
Gewerbe und Industrie im Wirtschaftsgebiet Karlsruhe und Umgebung, 1922, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS XVI 730.

Industrialisierung und Ausblick ins 20. Jahrhundert

Karlsruhe als Residenz- und so genannte Beamtenstadt wird kaum mit der Industrialisierung verbunden. Tatsächlich bestanden aber bereits vor 1900 bedeutende Industriebetriebe.

Im 18. Jahrhundert war Karlsruhe eine Stadt der Handwerker und Kaufleute, die von den Aufträgen vom Hof und der ansässigen Beamtenschaft lebten. Einige Firmen mit einer modernen, arbeitsteiligen Produktionsweise der Manufakturen jenseits des Zunftzwanges existierten nicht lange wie eine 1777 gegründete Seidenstrumpffabrik oder eine 1779 errichtete Puder- und Stärkefabrik. Länger bestand die 1760 gegründete und 1782 von Durlach nach Karlsruhe verlegte Griesbachsche Tabakfabrik, die 1820 zum damals größten Karlsruher Betrieb mit 80 Arbeitern wurde. In diesem Jahr gab es in Karlsruhe sieben weitere Manufakturen: die Tabakfabrik Sievert (30 Arbeiter), die Kutschenfabrik von Reiß (ca. 60 Arbeiter), die Bijouteriefabrik von Oelenheinz & Co (50 Arbeiter), die Uhrenfabrik Dürr (12 Arbeiter), die Tapetenfabrik von Eyth (8 Arbeiter) und die Homburgersche Kartenfabrik (8-10 Arbeiter).

Die Grundlagen des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt. Das 1825 gegründete Karlsruher Polytechnikum (Technische Hochschule, heute Karlsruher Institut für Technologie (KIT)) war Vorreiter im Deutschen Bund, zahllose Ingenieursabsolventen wurden Pioniere der folgenden Frühindustrialisierung. Badens Beitritt zum Zollverein 1835 und insbesondere der Eisenbahnbau Mannheim - Basel seit 1840 gab der industriellen Entwicklung Schwung. Die Polytechniker Emil Keßler und Theodor Martiensen übernahmen 1836 eine Werkstätte mit 70 Arbeitern, die sie vor dem Ettlinger Tor auf Beiertheimer Gemarkung zu einer Maschinenfabrik mit Lokomotivenproduktion ausbauten. Dieses zu den größten Fabriken in Deutschland zählende Unternehmen, nach Krisen und Umstrukturierungen 1852 als Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe AG weiter geführt, ging letztlich in der Weltwirtschaftskrise 1930 in Konkurs.

Seit 1843 war Karlsruhe an die Eisenbahn angeschlossen. Dies erwies sich als ein entscheidender Faktor zur Ansiedelung weiterer Industrie, vor allem nach 1870, als Karlsruher Produkte in die ganze Welt gingen. Noch überwogen aber in der Erwerbstätigkeit zu Dreiviertel der klassische Handel und das Handwerk, das bis 1862 in Karlsruhe in 27 Zünften organisiert blieb. Die Industrialisierung aber hatte bereits Fahrt aufgenommen. 1857 begann die Eisengießerei Seneca, 1857 entstand die Parfümerie- und Toilettenseifenfabrik F. Wolff & Sohn. 1860 gründeten die Mechaniker Georg Haid und Carl Neu eine Nähmaschinenfabrik, die ebenso wie die von Karl Junker, zuvor Mechaniker bei Haid & Neu, und Kaufmann August Ruh 1870 gegründete Nähmaschinenfabrik Junker & Ruh eine Weltstellung erreichen sollte. 1872 begann die Patronenfabrik, später Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken bzw. IWKA an der Brauerstraße die Produktion. Auch im benachbarten, damals noch selbstständigen Durlach entstanden Firmen mit Weltruf, so die 1855 gegründete Badische Maschinenfabrik und Eisengießerei von Johann Georg Sebold oder die 1872 gegründete Durlacher Nähmaschinenfabrik von Carl Gritzner.

Obwohl der Öffentliche Dienst in der Residenz- und Hauptstadt nach wie vor eine große Rolle spielte, war Karlsruhe spätestens nach der Jahrhundertwende Industrie- und Dienstleistungsstadt. 1875 existierten fast 3.000 industrielle und handwerkliche Betriebe mit 11.000 Beschäftigten, 1907 schon 7.000 mit über 43.000 Arbeitskräften. Die Industrialisierung war ursächlich für das Bevölkerungswachstum. Zwischen 1871 und kurz nach 1900 stieg die Einwohnerzahl von 36.500 auf 100.000.

Die Gewerbe lagen noch lange vermischt mit Wohnungsbebauung in der Innenstadt sowie der seit den 1860er Jahren entstehenden Südstadt und den kurz vor 1900 sich entwickelnden Stadtteilen Weststadt und Oststadt. In den Gewannen Sommerstrich und Bürgerfeld vor dem Mühlburger Tor, etwa das Areal zwischen Reinhold-Frank-Straße, Schillerstraße, Kaiserallee und Kriegsstraße, hatte sich eine Gasanstalt angesiedelt. Hier befand sich auch die erste Betriebsstätte von Junker & Ruh vor dem Umzug in die Bannwaldallee im Jahr 1912. Nach 1872 errichteten Brauereien aus der Innenstadt hier moderne Großbrauereien wie beispielsweise Albert Printz an der Kaiserallee 15, damals die größte Brauerei in der Stadt unter insgesamt noch 22. Auch der Verkehr und vor allem das Baugewerbe profitierten von der raschen Industrialisierung. 1862 hatte die Stadt allein eine Eisenbahnverbindung zum Hafen Maxau geschaffen.

Die Probleme mit den Gewerben inmitten dichter Wohnbezirke wurden drängend. Seit 1884 war die Stadt in Verhandlungen mit dem Großherzoglichen Domänenärar wegen einem Fabrikdistrikt im Osten zwischen Durlacher Allee und Karl-Wilhelm-Straße (späterer Abschnitt Haid-und-Neu-Straße). Hier entstand seit 1891 ein erstes Karlsruher Gewerbegebiet, in dem sich die Parfümeriefabrik Wolff & Sohn ansiedelte, ebenso Haid & Neu und seit 1897 die Brauerei Hoepfner. Zeitgleich entstand beim 1895 angelegten Güterbahnhof, später Westbahnhof, ein noch größeres reines Gewerbegebiet, das sich mit dem von Grünwinkel bei der Großbrauerei Sinner (heute Moninger) verband. 1896 siedelte sich hier u. a. die Kunstwollfabrik Vogel & Schnurmann an, die Maschinenfabrik L. Nagel sowie die Gesellschaft für elektrische Industrie.

Die Elektrizität wurde nach 1900 neuer Motor der Industrialisierung. Der 1901 in Betrieb genommene Rheinhafen beförderte die weitere Industrie- und Gewerbeentwicklung, um ihn herum entstand das dritte bedeutende Industrie- und Gewerbegebiet der Stadt. In Karlsruhe überwog noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Metall- und Maschinenbauindustrie.

Der Ausgang des Ersten Weltkriegs unterbrach die lange ungebremste industrielle Entwicklung Karlsruhes. Der Verlust von Absatzmärkten, die Besetzung des Rheinhafens 1923/24, die im Versailler Vertrag festgelegte entmilitarisierte Zone brachten die Industrie am Oberrhein insgesamt in die Krise, bestenfalls wie in Karlsruhe in die Stagnation.

Der städtische Generalbebauungsplan von 1926 war der erste Wurf für ein umfassendes Flächennutzungskonzept, angelegt auf ca. 50 Jahre. Da Karlsruhe zunehmend zur Handels- und Industriestadt wurde, standen Verkehrsentwicklung und Erschließung neuer Flächen für Industrie und Handel sowie neue Wohnsiedelungen für die notwendigen Arbeitskräfte im Vordergrund. In der Stadt ungünstig liegende Industrie- und Handelsbetriebe sollten verlegt, das Industriegebiet Bannwald/Westbahnhof aufgelöst werden, weil dieses die Wohnqualität in der Stadt am meisten durch die häufigen Westwinde beeinträchtigte. Als künftiges neues und Hauptindustriegebiet sah der Plan neue Flächen im Nordwesten der Stadt vor, eine Erweiterung des Rheinhafens und nördlich davon auf dem Areal der heutigen Raffinerie. Tatsächlich wurde die Aufgabe des Industriegebiets beim Westbahnhof samt notwendiger Verlegung des Eisenbahnnetzes nie umgesetzt. Die Verlagerung belästigender oder zu klein gewordener Firmenflächen in den Wohnvierteln dagegen blieb Schwerpunkt städtischer Wirtschaftsförderung bis in die jüngste Zeit.

Bis zum Zweiten Weltkrieg stagnierte die industrielle Entwicklung in Karlsruhe, wegen erwarteter Kriegshandlungen gab es sogar Produktionsverlagerungen. Erst die Kriegs- und Rüstungsproduktion, die auch mit über 17.000 ausländischen Zwangsarbeitskräften gesichert wurde, weitete die industriellen Kapazitäten aus.

Das Kriegsende 1945 war zunächst verbunden mit einer außerordentlichen Schwächung der Wirtschaftsleistung. Die Besatzungszonengrenzen verliefen nahe der Stadt. An dem so genannten Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik hatte Karlsruhe trotz Verlust der Hauptstadtfunktion einen beträchtlichen Anteil. Nun griffen Konzepte für eine Entwicklung als Industrie- und Handelsstadt, die bereits während der NS-Zeit durch den absehbaren Bedeutungsverlust der Stadt durch die geplante Verlegung der Gauhauptstadt nach Straßburg, aufgestellt worden waren: Ausbau des Rheinhafens und Verkehrswegeentwicklung neben Ansiedelung neuer Betriebe. Anfangs wurden Betriebe aus dem früheren Ostdeutschland in der Stadt angesiedelt, beispielsweise Arzneimittelhersteller Schwabe aus Leipzig, Gollnow aus Stettin, L’Oréal aus Berlin oder die Gablonzer Werkstätten aus Tschechien. Bedeutend war ein neuer Standort von Siemens in Knielingen, der bis in die 1980er Jahre mit rund 10.000 Beschäftigten größter Industriebetrieb der Stadt war. Ganz neue Betriebe, wie Tonfunk GmbH, später ein Grundig-Zweigbetrieb, nahmen ihren Anfang, traditionelle Betriebe expandierten. Die Zahl der Industriebeschäftigten wuchs zwischen 1957 und 1961 von ca. 40.000 auf 47.000. Trotz beginnender Gastarbeiter-Anwerbung machte sich ein Arbeitskräftemangel bemerkbar. Anstelle lohn- und arbeitsintensiver Betriebe wurde nun auf Ansiedelung kapitalintensiver Betriebe gesetzt, beispielsweise 1959 zwei große Ölraffinerien an die Stelle, die der Generalbebauungsplan schon 1926 für Industrieflächen vorgesehen hatte.

Diese "zweite Gründerzeit" war mit Beginn der 1970er Jahre zu Ende. Ein schleichender Strukturwandel hatte begonnen. Fallende Renditen führten zu Rationalisierungen und Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer. Aber auch Verlagerungen auf die "grüne Wiese" ins Umland waren für die Unternehmen lohnend, beispielsweise der Umzug von IWKA nach Blankenloch, wohin vor ihrer Verlagerung nach Fernost die Nähmaschinenfabrik Singer (vormals Haid & Neu) bereits verzogen war. Auch andere Firmen hatten ihren Eigentümer gewechselt, wie z. B. Junker & Ruh 1965 zum Konkurrenten Neff, der den Betrieb 1968 stilllegte. Seit den 1970er Jahren häuften sich Betriebsschließungen und Firmenzusammenbrüche. Während die Erwerbslosenzahl von unter 1.000 im Jahr 1972 binnen 10 Jahren auf über 14.000 stieg, beschleunigte sich die Deindustrialisierung. Auf manche Industriebrachen siedelten Betriebe des so genannten tertiären Bereichs, Dienstleister wie z. B. Metro auf das ehemalige Junker & Ruh-Areal.

Die Stadtverwaltung hatte von Beginn an ihr Augenmerk auf die gezielte Wirtschaftsförderung in enger Verzahnung mit den übrigen städtischen Abteilungen gelegt. Wichtiges Augenmerk kam seit 1949 dem Ausweis und Ausbau neuer Gewerbegebiete zu. Planmäßig wurde das Rheinhafen-Areal ständig erweitert, zuletzt im Schlehert 1993. Andere vorhandene Gewerbegebiete wie an der Neureuter Straße wurden gleichfalls ab 1949 erweitert, nach 1973 um das Mischgewerbegebiet Im Husarenlager vergrößert. Kleinere Gewerbeflächen wie um den Weinweg und Gerwigstraße wurden seit 1958 bis in die 1980er Jahre errichtet, ebenso das Gewerbegebiet Killisfeld seit 1958. Großprojekte waren allerdings die ganz neuen Gewerbegebiete auf bis dahin hauptsächlich landwirtschaftlich genutzten Flächen wie beispielsweise die Tagweidwiesen seit 1953 sowie Storrenacker und Roßweid bei Hagsfeld und Grötzingen seit Ende der 1960er Jahre.

Daneben setzte man in Karlsruhe auf neue Konzepte. Wirtschaftsförderung wird seit den 1980er Jahren auch unter dem Label Technologieregion, die benachbarte Kreise einschließt, betrieben. Die Forschungsdichte und Hochschulen wie u. a. die Universität, heute KIT, sind Keimzelle der Gründerregion Karlsruhe durch Transfer von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen mittels Industriekooperationen und Unternehmensausgründungen (2000 - 2010: über 250). Karlsruhe hatte neben Berlin das erste Gründerzentrum (die Technologiefabrik GmbH 1983). Dieses Modell wurde Vorbild für das Gründerzentrum Durlacher Allee (1986), dem Handwerkerhof im Rheinhafen (1993), dem Seboldzentrum (1995) sowie Gewerbe- und Dienstleistungszentrum P90 in der ehemaligen Fabrik BMD (2005), zuletzt im Gewerbe- und Dienstleistungspark auf dem ehemaligen Gritzner- bzw. Pfaff-Areal.

Jürgen Schuhladen-Krämer 2018

Quelle

Karlsruher Wirtschaftsspiegel, hrsg. von Stadtverwaltung Karlsruhe, seit 2012 von Baden TV GmbH, 1958-2013.

Literatur

Die Entwicklung der Industrie in Karlsruhe und Umgebung. Bearbeitet vom Badischen Statistischen Landesamt, in: Badische Heimat, 15. Jg., 1928, S. 160-164; Ernst Otto Bräunche: Die Karlsruher Industrie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Rainer Beck u. a.: Industrie-Architektur in Karlsruhe. Beiträge zur Industrie- und Baugeschichte der ehemaligen badischen Haupt- und Residenzstadt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, S. 12-20, Karlsruhe 19932 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 6); Jürgen Schuhladen-Krämer: Industriestadt Karlsruhe und ihre Wandlung, in: Atlas Karlsruhe. 300 Jahre Stadtgeschichte in Karten und Bildern, hrsg. von Ernst Otto Bräunche/Karoline Kramer/Peter Ludäscher/Dorothea Wiktorin/Angelika Zibat, Köln 2014, S. 42-45; Hans Georg Zier: Die Industrialisierung des Karlsruher Raums. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Badens, in: Oberrheinische Studien 2, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft für Geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e. V. Karlsruhe 1973, S. 335-372.